laut.de-Kritik
Punk braucht keine Rettung.
Review von Josef GasteigerEs rauschte durch die elektronische Welt der Untergrundszene, kurz darauf auch durch alte Schlachtrösser wie die New York Times: Wieder einmal soll Punk gerettet werden. Den fragte man natürlich nicht, ob er das will, attestiert jedoch die nötige Rettungsfähigkeit den vier Dänen von Iceage.
Gerade mal an der Schwelle zum Erwachsenwerden zieht diese Kopenhagener Band schon den Rattenschwanz eines ausgewachsenen Hypes hinter sich her. Und siehe da. Es ist laut, schnell und kracht ordentlich. Zweiminütige Songs, eine eingestreute Harmonie immer wenn das Geschrammel Überhand zu nehmen droht, ein roher Sound fernab jeglicher Produktionstandards, dazu noch das Bild von blutjungen, schüchternen Dänen, die sich alle Emotionen von der Seele lärmen. Mit Instrumenten, die sie aus Langeweile zu spielen begannen und kaum noch einer richtig beherrscht.
Den Dänen aber gänzlich musikalisches Dilettantentum zu unterstellen, täte ihnen Unrecht. So besitzen sie ein feines Gespür für die musikalische Handbremse, die sie immer ziehen, bevor sie in totale Soundanarchie eintauchen. ("Total Drench", "Rotting Heights"). Auch Rhythmuswechsel im höchsten Gang hätte man ihnen in dieser Art nicht zugetraut, zu sehr erwartete man hier kompromisslose Schrammelei. Dazu schieben sie noch große Dosierungen von Black Flag und anderen Hardcore- und Punkhelden in ihre 90-Sekünder.
Es passiert also einiges auf diesem Debütalbum der neuen dänischen Härte. Vor allem aber auch Melodie und Harmonie, was sich schon beim Titeltrack manifestiert. Nach eineinhalb Minuten ist es an der Zeit, die Pogos aufzulösen und gemeinsam ein hymnisch anmutendes Liedchen zu trällern, das sicher auch live das Publikum zum Hans Christian Andersen-Chor transformiert.
Überhaupt spielen Iceage die Melodiekarte öfter als das Haudrauf-Ass, was dem Album besonders beim eröffnenden Triumvirat an Songs zugute kommt. Bei "Remember" oder dem offbeatigen "Broken Bone" bleibt die Melodie trotz aller Gitarrenverzerrung und undurchsichtigem Mix nach kurzer Zeit im Ohr hängen. Auch wenn Iceage auf den ersten Hinhörer fast angestrengt unangepasst klingen wollen – wenn sie sich eine schöne Gesangslinie gönnen, sind sie kaum einen Steinwurf von den Vaccines entfernt.
Allerdings geht es auch anders. Als Gegenpol zu dem harmonischen Schöngeist fliegen sie quasi durch "Eyes" und den wahren Punkbrecher "Count Me In" von der befreundeten Kopenhagener Band Sexdrome, wobei ohne Rücksicht auf Timing und Mitmusikanten hier flott durchgewütet wird. Da kann es schon mal passieren, dass die Struktur vollends aus den Fugen gerät und sie das Nervenkostüm ordentlich auf Stabilität testen.
Hier passt der als roh fast noch schmeichelhaft bezeichnete Produktionsschuh perfekt. Ein glasklarer Sound hätte einiges von der ungestümen, entfesselten Attitüde genommen. Doch diese Seite ist ein großer Teil von Iceage. Ihre jugendliche Schnörkellosigkeit erlaubt es ihnen, einen der besten Songs des Albums als Rausschmeißer auf ihr Debüt zu packen.
Bei der knappen Hälfte der Songs reißt eine fast versöhnliche Melodie das Image von Iceage als neue böse Punk-Buben wieder ein. Die andere Hälfte sorgt für Möglichkeit zum raumeinnehmenden Ausdruckstanz, in wenigen Fällen gelingt sogar beides ("New Brigade", "You're Blessed"). Ob man Iceage nun als Punk-Rettung, Post-Punk oder Noise bezeichnen will, relativiert sich in der halben Stunde, in der das Album im Player rotiert. Denn erfrischend ist diese junge Band allemal.
2 Kommentare
oh yeah, verdammt dreckig und verdammt gut.
so hätten the horrors klingen sollen!
fein wie viel guter stoff grad aus dem kalten norden kommt