laut.de-Kritik
Abseits des Mainstreams: die pure Euphorie des Musizierens.
Review von Simon ConradsSchon vor der Veröffentlichung ihres Debütalbums "Tears And Teeth" 2020 blickte Inga Riedel auf ein ziemlich interessantes Leben zurück: Das Dasein als Musikerin erscheint eher als ein Kapitel unter vielen."Ich arbeite maximal 80 Tage im Jahr.", erzählte sie damals der Abendzeitung. Der Job als Beleuchterin in der Filmbranche machts möglich. An den Drehtagen wird intensiv geackert, um anschließend in Ruhe reisen oder Songs in Wohnmobilen und Autos aufnehmen zu können. Um sich in der kalten Jahreszeit das Wohnen in München leisten zu können, wich sie auf Bürogebäude und Ateliers ohne richtiges Badezimmer aus. Als sie zwischenzeitlich nicht mehr hinter den Filmen stehen konnte, an denen sie mitwirkte, half sie einige Zeit auf Bauernhöfen bei der Käseproduktion mit.
Dass Riedel eher zufällig an das Label Trikont gerät, passt zur unkonventionellen Biographie. Eines Abends lernte sie die beiden Musiker Leo Hopfinger und Pico Be kennen, die ihre Musik dem Label zuspielten, das direkt an einer Zusammenarbeit interessiert war. Ihr Umfeld, so schilderte sie es der taz, war damals einigermaßen überrascht. Musik hatte sie eigentlich nur für sich selbst gemacht und kaum einem davon erzählt - nun hatte sie plötzlich einen Labeldeal.
Und womöglich liegt genau in dieser Spontaneität ohne lange Feedbackschleifen das Geheimnis von Ingas Musik. Sie läuft, ganz wie ihre Schöpferin, neben dem Mainstream. Sie hat zwar Kenntnis davon, bedient sich auch daran, setzt dies allerdings zu etwas ganz Eigensinnigem zusammen. Die Stücke wirken nicht, als wollten sie irgendjemandes Erwartungen bedienen. Vielmehr spricht aus ihnen die pure Euphorie des Musizierens. Man kann sich bildlich vorstellen, wie Riedel bei der Produktion immer tiefer in ihre Stücke eintaucht - sie eher durchfühlt, als durchdenkt.
Auf "Took The Wrong Way Home" steht Inga nun deutlicher im Elektro, ist nicht mehr ganz so Genre-evasiv wie noch auf dem Debüt. Im Zentrum der Musik geblieben ist der eigensinnig ausdrucksstarke Gesang in Englisch, Französisch und Deutsch, die Vielseitigkeit ist eine der Hauptstärken. Dazu kommen am Laptop programmierte, eher dezente Beats, zu denen mal Synths, mal Piano und lässiges Gitarrenspiel geboten werden.
In den beiden Stücken "An Easy Way" und "Hokema" stehen beispielsweise die verschiedenen Klangelemente im Fokus, etwa Zikaden, eine Hangdrum oder eine Mundharmonika. In "Hokema" verfremden gegen Ende Effekte Ingas Stimme, wodurch die musikalische Verknotung von Elektronik und Akustik gespiegelt wird. Bei "Imagine", das ein wenig nach The Notwist klingt, gerät die Verträumtheit aufgrund undefinierbarer Elektronikelemente, die leicht neben dem Beat rattern, beklemmend, fast schon albtraumartig. Dabei bewahrt sich derer Track aber einen verführerischen Sog.
Immer wieder kippen die Tracks abrupt in neue Parts, etwa im Mittelteil von "Keep The Track", das mit einem Mix aus minimalistischem Beat und unauffälligem E-Gitarrenzupfen mitreißt. Der Titeltrack weckt mit ruckelndem Beat und getragenem Klavierspiel Erinnerungen an The National, der Gesang bleibt aber größtenteils verschwommen im Hintergrund. Textlich ist Inga dem Assoziativen des Vorgängers treu geblieben. Das Album-Highlight "Oh Jemine" etwa bietet einen Stream Of Consciousness bezüglich des Lebens im Wohnmobil: "Seit knapp zwei Jahren jetzt / Such ich schon ein schickes Auto, das mir Freiheit schenkt". Es macht großen Spaß ihren teils theatralisch vorgetragen Ausführungen zu folgen, ganz besonders etwa im sympathisch-schleppenden "Frösche".
Ein Wermutstropfen bleibt der Closer "Hail", der zu träge daherkommt und mindestens seltsam anmutende Zeilen wie "Hail to the few ones that still met in winter time / Even when we were not supposed to / Hail to the few ones that met in small rooms / And hugged and kissed and shake hands / For my very own sake" bietet. Das wirkt wie eine vage Einlassung bezüglich der Corona-Schutzmaßnahmen in den vergangenen zwei Jahren, die etwas ratlos zurücklässt. Insgesamt bleibt "Took The Wrong Way Home" aber ein sehr charmantes, frisches und passend zum Cover wunderbar schräges Singer-Songwriter-Kleinod.
1 Kommentar
OK, kann weg, am besten mit dem VW Bus....