laut.de-Kritik
Schaurig schönes Portrait psychischer und humaner Zerrüttung.
Review von Toni HennigAuf "Paradise Gallows" erweiterten Inter Arma vor rund drei Jahren ihre Mixtur aus Sludge, Stoner-Rock und Black Metal um progressiven Death Metal und psychedelische Komponenten. Letztere ertönen auf "Sulphur English" nur noch selten. Dafür kommen vermehrt zähflüssige Death Doom-Einflüsse dazu. Am Ende bleibt das bisher unkonventionellste und düsterste Werk der Band aus Richmond in Virginia.
Sänger Mike Paparo sieht das Album aber auch als eine Reaktion auf den hochgelobten Vorgänger, der im Grunde eine "sehr farbenfrohe Platte" besaß. Letzten Endes wollte die Formation einen Schlussstrich unter diese Scheibe ziehen und nicht immer wieder "Variationen des selben Riffs" schreiben. Bevor Drummer und Hauptsongwriter T.J. Childers begann, an neuen Songs zu arbeiten, wussten Inter Arma daher schon, dass sie eine Platte machen wollten, die "unschöner und noch kaputter" als ihre bisherigen Veröffentlichungen klingen sollte. Auch deshalb enthält das Werk noch viel mehr "Death Metal" als sonst. Dieses Genre spielte in der Vergangenheit im Songwriting eine eher untergeordnete Rolle.
Außerdem hatte Paparo noch mit Schicksalsschlägen und Depressionen zu kämpfen, weshalb er für diese "Aufnahme" seine bisher "persönlichsten Texte" verfasste. In "Howling Lands" und dem Titelstück richtet er seinen Blick allerdings auch auf äußere politische Abgründe. Etwas zu lachen gibt es auf der Scheibe also nicht.
Das verdeutlicht schon der instrumentale Opener "Bumgardner", mit dem die US-Amerikaner dem ehemaligen Lord Mantis- und Indian-Drummer Bill Bumgardner ihre Ehre erweisen. Der litt selbst unter Depressionen und beging 2016 mit nur 35 Jahren Suizid. Dementsprechend trostlos beginnt die Nummer mit schleppend rituellen Percussions, begleitet von einem nervenaufreibenden Fiepen, bevor ab der Mitte schwere Sludge-Töne einsetzen. Der Albtraum endet dann schließlich abrupt.
Ebenso wenig greifbar fällt auch das folgende "A Waxen Sea" aus, das immer wieder zwischen wüster Knüppelorgie und Todesmarsch hin- und herpendelt, während sich aus den Untiefen der Hölle tiefe Growls erheben, die später in unberechenbares Gekeife umschlagen. Eine gängige Songstruktur erkennt man dabei nicht.
Ungleich schwerer gestaltet sich dagegen "Citadel" mit immer wieder geschickt platzierten Death Doom-Passagen, die man zwischen den treibenden Schlagzeug-Momenten hört. Zudem treffen sich die beiden Gitarristen Steven Russell und Trey Dalton zu einem wuchtigen Zusammenspiel, das zur Intensivierung der bedrückenden Atmosphäre eine Menge beiträgt. Zum Schluss mündet das Stück in einem Solo der Marke Slayer, das wie ein Hilfeschrei anmutet. So langsam ergibt die Sperrigkeit zu Beginn Sinn, reißt einen die Platte doch mit jedem weiteren Ton in ein immer tieferes Loch.
In "Howling Lands" legt sich dann schließlich mit präzisen marschierenden Drum- und Saiten-Klängen, verzweifeltem Klargesang, der sich mit wütendem Gekeife abwechselt, und unheilvollen Feedbacks eine bleierne Schwere über das Gemüt des Hörers. Vom beängstigenden Endzeit-Panorama, über das eine erdrückende, nahezu hoffnungslos triste Stimmung wie ein Schleier hängt, geht nun endgültig eine besondere schaurig schöne Faszination aus.
"Stillness" kommt sogar ganz ohne Black- und Death Metal-Einflüsse aus und entführt zu Beginn, im Gegensatz zu den restlichen Songs, mit psychedelischen Orgel- und schwebenden Gitarren-Sounds, die an Pink Floyd erinnern, in tranceartige Sphären, während die klagende Stimme Paparos eine ungemeine Emotionalität ausstrahlt.
Ab der Mitte war es das aber schon mit der Luftigkeit. Treibende Drums, expressive Soli und niederschmetterndes Post-Metal-Gebrülle lassen nicht nur die Seele, sondern auch die Welt lichterloh in Flammen stehen, während der Bass von Joe Kerkes unterschwellig vor sich hin brodelt. Den vernimmt man auf diesem Werk letztmalig. Nach den Aufnahmen verließ er die Band. Seinen Posten übernahm Andrew Lacour, ehemals KEN Mode.
Nach dem kurzen, unbehaglichen Piano-Intermezzo "Observances Of The Path" bleibt in "The Atavist's Meridian" nicht mehr als ein emotionaler Trümmerhaufen übrig, wenn die US-Amerikaner ungefähr ab Minute fünf die komplexe Mathcore-Struktur mit schleppendem Schlagzeug, schwankenden Gitarren und lethargischem Klargesang auflösen, um die Beklemmung nach und nach zu steigern. Später geht der Song in eine noch schwerfälligere Post-Metal-Passage über, die mit scheppernden Drum-Schlägen und gequälten Schreien jegliche Hoffnung auf Gerechtigkeit und Erlösung zunichte macht.
Und das ist nicht mal der intensive Höhepunkt des Albums. Den bildet nämlich das folgende "Blood On The Lupines", das anfänglich im Zeitlupen-Tempo mit dräuenden Drones, abwesenden Clean Vocals und unfassbar traurigen Soli schon fast so niedergeschlagen wie die Musik von The Angelic Process wirkt, sich jedoch mit überschlagendem Gesang und unbarmherziger Saiten-Arbeit zu einer undurchdringlichen Wall Of Sound verdichtet, die vor Heavyness nur so strotzt. Nach diesem hässlichen Brocken stehen erstmal sämtliche Münder offen. Der abschließende Titeltrack stellt dann kaum leicht verdaulichere Kost dar.
Der nimmt jedenfalls zwischen anspruchsvollem Geknüppel und waghalsigen Stimm-Verrenkungen die abenteuerlichsten Drehungen und Wendungen, solange nicht zwischenzeitlich in langsamen, unaufhaltsamen Schritten der Tod ganz nah heran kriecht. Am Ende verhallen jaulende Gitarren und das Geknüppel im Nichts. Angesichts der resignierten Weltuntergangsstimmung auf dieser Platte nur konsequent.
Insgesamt muss man sich "Sulphur English" in etwa wie einen eigensinnigen Hybriden aus frühen Neurosis und Red Harvest, Weakling, The Angelic Process, Plebeian Grandstand, Spectral Voice und Cult Of Luna vorstellen. Jegliche Klischeehaftigkeit und Angepasstheit umschiffen Inter Arma auf so meisterlich intensive Weise, dass ihnen nicht nur ein eindringliches Portrait psychischer und humaner Zerrüttung gelingt, sondern auch das beeindruckendste Metal-Album 2019.
1 Kommentar
Wie immer brutal gut. 5/5