laut.de-Kritik
Ausufernde Kreativität gebiert unerhört Neues.
Review von Kai KoppEs gehört schon Einiges dazu, mit einer jazztypischen Klaviertriobesetzung (p, b, dr) und der Interpretation von Standards noch eine Salami vom Teller zu wurschteln. "Standards zu spielen, nur um sie zu spielen, ist nicht mein Ding - dafür gibt es einfach schon zu viele gute Leute, die das getan haben. Für mich müssen sie wie eine kleine Sinfonie sein und ein inneres Drama entfalten". Das ist wahrlich das Mindeste, was man von der ca. einmillionsten Version von "Autumn Leaves" erwarten kann. Immerhin besitzt das Stück im Jazzlager etwa den Stellenwert eines pilzköpfigen "Hey Jude", das jeder popularmusikambitionierte Jungmusiker kreuz und quer spielt, bis der Arzt kommt.
Selbst in derartigen Standardsituationen verschwendet das Jacky Terrasson Trio keine Note für musikalische Floskeln. Obwohl auch hochkarätige Musiker sich nur ungern von diesen in der Hochschule antrainierten Plattitüden trennen, hält sich das Trio nicht mit Phrasendrescherei auf. Statt dessen brillieren sie mit ausgereifter Stilistik und kreativer Innovationskraft.
Im Zeitalter, in dem man glaubt, "alles" und damit jede mögliche Verbindung von Tönen zu kennen, überraschen die drei mit ausufernder Kreativität und sensiblem Gespür für unerhört Neues. Solo-Linien, die im Drei-Oktaven-Abstand parallel geführt werden oder eine konsequent dissonante Melodieführung überraschen selbst geübte Hörer.
Die Auswahl der Interpretationen und Kompositionen erfährt über die komplette Albumlänge keinen Absacker. Neben den erwähnten Standards freut sich das Ohr über eine wunderschöne "Mo' Better Blues"-Version, die überzeugender als das Original ist, ein Stevie Wonder-Tribut und zwei Eigenkompositionen, von denen besonders "Smile" überzeugen kann.
Besonders hervorzuheben ist die Leistung von Drummer Eric Harland, der auch mal die monotone Schönheit der Wiederholung auskosten kann, ohne gleich einen Understatement-Anfall zu erleiden. Das rechne ich einem ausgefuchsten Jazzer hoch an, zumal viele seiner Kollegen den Groove hinter ihrer ausufernden Friggelei verbergen.
Versiert in allen musikalischen Fragen präsentiert sich das Jacky Terrasson Trio. Zwischen klassisch gefärbter Strenge und freiheitsliebenden Soli bewegen sich die Musiker trittsicher und ausgewogen. Jacky Terrassons einzigartiges Gefühl für die rhythmische, harmonische und melodische Gestaltung der Linien ist dafür verantwortlich, dass ich mein Brot jetzt ohne Wurst genießen darf. Von diesem Trio lass ich mir gern die Wurst vom Teller stehlen.
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