laut.de-Kritik

Tee trifft auf Lean: so unerwartet wie einzigartig.

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Ein Kollaboalbum von Lil Yachty und James Blake hatten wohl die wenigsten auf ihrer Bingokarte für 2024. Dass sich der amerikanische Rapper und der englische Sänger und Produzent kennen und schätzen, ist nicht weiter verwunderlich. Aber die Ankündigung einer Zusammenarbeit auf Albumlänge kam dann schon etwas überraschend - vor allem wenn man bedenkt, dass man die beiden vorher noch nie zusammen gesehen, geschweige denn gehört hatte.

Während Lil Yachty 2023 laut nationaler und internationaler Presse eines der besten Alben des Jahres hervorgebracht hatte, war auch James Blake zuletzt sehr fleißig und erfolgreich. "Playing Robots Into Heaven" ist gerade einmal einige Monate, die letzte EP nur einige Wochen alt, und mit der letzten Single untermalt er die (bis dato eher wenig glanzvolle) EM-Kampagne der englischen Nationalmannschaft musikalisch. Zwei sehr umtriebige und fleißige Künstler, die Arbeitsmoral passt also.

In der (sehr kurzen, aber unterhaltsamen) Promophase spielen die beiden mit ihren vermeintlichen Gegensätzen. "The album by southern boy & english man" kündigten sie "Bad Cameo" auf Instagram an und visualisierten diese Ankündigung mit dem völlig missglückten Versuch eines Handschlags, der damit endet, dass James Blakes Hand Lil Yachtys Faust umschließt - der worst case eines Handschlags sozusagen. Das Albumcover ziert ein Tisch, erneut sind die Hände der beiden zu sehen, auf der einen Seite ein Doublecup gefüllt mit Lean und auf der anderen Seite ein Tee sowie die Überbleibsel eines englischen Frühstücks.

Wie sehr die beiden trotz dieser Gegensätze harmonieren, zeigen die gemeinsamen Interviews, in denen sie erklären, wie es überhaupt zu diesem Aufeinandertreffen kam. Lil Yachty habe James Blake schon vor Jahren auf Instagram angeschrieben, um ihn für sein Album "Assume Form" zu loben. James habe diese Nachricht nie gelesen, sei aber schon immer Fan gewesen. Ein gemeinsamer Freund habe sie dann miteinander verbunden. Die Freundschaft hat standgehalten, obwohl die Meinungen gerne mal auseinander gehen. Gegenüber dem Saxophon zum Beispiel: In Yachtys Lieblingsinstrument, das seiner Meinung nach den "beruhigendsten, coolsten und entspannten Sound produziert", sieht James eher "diesen Typen bei der Party, der zu viel kokst und dir von seiner neuen Geschäftsidee erzählt, obwohl es dich kein bisschen interessiert".

Im (sehr zu empfehlendem) Interview mit Complex spielt James gefragt nach dem "song you love that everyone hates", "last song that made you cry" und "a song that you play during sex" spaßeshalber jedes Mal Lil Yachtys "Poland" - ein Hit, der wegen seiner absurden und lächerlichen Hook in kürzester Zeit viral gegangen ist, gleichzeitig aber so leicht ins Ohr geht wie er dort hartnäckig bleibt. Ein wenig spiegelt "Poland" Lil Yachtys Karriere wieder: am Anfang belächelt und kaum ernst zu nehmen (denkt man an seinen Durchbruch "Minnesota" vor acht Jahren), aber so hartnäckig und faszinierend, dass er einfach nicht weggeht.

Die Harmonie der beiden zeigt sich auch in diesem zehn Stücke starken, 43 Minuten langen, genre-technisch völlig undefinierbaren musikalischen Erzeugnis "Bad Cameo". Es handelt sich weder um ein James Blake-Album noch um ein Lil Yachty-Album. Es ist kein Hip Hop-Album, obwohl ein wenig gerappt wird, es ist kein Ambient-Album, obwohl es ein paar Ambient-Songs gibt. Dass diese Rezension vier Absätze ohne Beschreibung der eigentlichen Musik auf dem Album auskommt, hängt auch damit zusammen, dass es kaum Referenzpunkte für diesen Sound gibt. Ein Genrename müsste erst wirklich erst noch erfunden werden.

Bei "Save The Savior" geht es schon los: ein einzigartiges Intro, das sphärische Ambient-Klänge mit dunklen 808s verbindet und sich schließlich zu einer Synth-Ballade verwandelt. Eine solche Kombination an Stimmen hat - das lässt sich mit Gewissheit sagen - noch kein Album je zuvor geboten. "In Grey" startet ähnlich langsam, endet dafür sogar tanzbar und leitet zum Magnum Opus "Midnight" über: Wer sowas im Studio entstehen lässt, muss sich denken: "Okay, we've got one. Let's do a full Album". "Midnight", mal wieder ein flammendes Plädoyer für die Schönheit und Wirkung von Beatswitches, klingt keine Sekunde gleich, windet sich hin und her und stellt eindrucksvoll unter Beweis, wie viele gute Ideen in ein einziges Stück passen. "And when our souls leave their bodies // It's not like that's even the end" schmachtet James Blake und so klingt das dramatische Ende auch, also würde sich die Seele vom Körper trennen.

Wer eher auf "konventionelle" Musik steht, kommt am ehesten mit "Woo" auf seine Kosten. Hier zeigt sich gleichzeitig James Blakes Liebe zum Detail in seinen einzigartigen Produktionen: Für die Zeile "Feelin' second best when you should be the headline" setzt plötzlich auf geschmackvolle Weise ein aus Drakes "Headlines" bekanntes Streicher-Sample ein. Das titelgebende "Bad Cameo", ursprünglich wohl mal als Intro gedacht, könnte genauso als solches funktionieren, nimmt in der finalen Version des Albums zur Halbzeit ein wenig das Tempo raus, sollte aber auf keinen Fall übergangen werden.

Dafür, dass "Missing Man" laut James Blake in ungefähr zehn Minuten entstanden sein soll, klingt das Ergebnis ganz schön beeindruckend. Er habe Yachty einfach nur ein paar Ambient-Instrumentals ohne Beat vorgespielt und der habe daraufhin in kürzester Zeit Melodien dafür gefunden. In "Twice" ist dann wieder James für die Melodien verantwortlich: "Nobody knows our situation // Why the hesitation?" fragt er sich theatralisch, während sich Yachty mit einer Art 'Us against the world'-Rede an seine Angebetete wendet. "Transport Me" ist ein sehr treffender Name für den darauffolgenden Track, der sich von Sekunde zu Sekunde steigert und die Hörer mit Sirenen und Synthies wortwörtlich in die nächste Dimension transportiert.

Das einzige Feature des Albums ist auf "Run Away From The Rabbit" zu hören: Monica Martin, der James Blake schon auf "Friends That Break Your Heart" eine Bühne geboten hatte, steuert ein paar hübsche Vocals bei und ist trotz des kurzen Auftritts eine echte Bereicherung. Eine hypnotisierende Ballade, auf die mit "Red Carpet" ein weiteres Ambient-Stück folgt. Während Yachty mit seinen eigenen Gedanken hadert ("What gives them right to judge my faults? My late night thoughts make it hard to sleep"), klingt das Ende für James versöhnlicher: "Red carpet, I never wanna walk it, as long as I'm enough for you, that's enough for me".

Mit "Bad Cameo" betreten beide Künstler neue Pfade - ein Wagnis, das sich weniger etablierte Musiker gar nicht leisten können. Zu groß das Risiko, dass der neue Sound bei den Fans nicht ankommen könnte und die kommerziellen Erwartungen nicht erfüllt werden. Nach Lil Yachtys "Pink Floyd-Album", das schon angedeutet hatte, dass man ihn keinesfalls in eine Schublade stecken darf, kommt hier ein weiteres Beispiel dafür, dass sich solche Experimente musikalisch auszahlen.

Trackliste

  1. 1. Save The Savior
  2. 2. In Grey
  3. 3. Midnight
  4. 4. Woo
  5. 5. Bad Cameo
  6. 6. Missing Man
  7. 7. Twice
  8. 8. Transport Me
  9. 9. Run Away From The Rabbit
  10. 10. Red Carpet

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