laut.de-Kritik
Ein Schotte unter Schweden.
Review von Josephine Maria BayerEs fühlt sich an wie ein Spaziergang entlang einer wilden Küste, mit der rauhen See im Blick und wehendem Wind im Gesicht: "The Great White Sea Eagle" lädt uns auf eine Traumreise in die Wildheit des Lebens und der Natur ein. Bereits für "The Wide, Wide River" (2021) hatte James Yorkston das schwedische Second Hand Orchestra an Bord geholt. Dieses Mal ist Schwedens Indie-Queen Nina Persson von den Cardigans mit am Start. Das Ensemble begibt sich mit "The Great White Sea Eagle" auf eine Traumreise an den Strand, zu den Krabben und einem mysteriösen Weißbauchseeadler.
Ungewohnt pop-lastig experimentiert Yorkston mit spontanen Arrangements, die im Tonstudio ohne vorherige Proben entstanden. Alle Songs des Albums stammen aus seiner Feder. Wie schon bei den Aufnahmesessions für "The Wide, Wide River" wurde das Second Hand Orchestra ohne Notenblätter und vorherige Absprachen ins Tonstudio eingeladen. Im Interview mit Josie Long schildert Yorkston den kreativen Prozess: "Ich brachte ihnen die Songs, wir fingen mit einem an - ich spielte ihn. Beim zweiten Mal fingen die Leute an zu singen und mitzuspielen, und wenn wir das drei- oder viermal gemacht hatten, drückten wir auf 'Aufnahme' und waren bereit, loszulegen."
Die Spontanität ist hörbar. Positiv formuliert: Nichts klingt überprobt oder zerdacht. Yorkston liebt das Unperfekte und auch die dissonanten Töne, die sich sowohl in den Songs, als auch in Yorkstons Leben in ein harmonisches Gesamtbild einfügen. Er singt vom Umgang mit Trauer und dem Älterwerden, dem Vatersein, von Liebe und Freundschaft und der Natur. Sanft stimmt Nina Persson im Refrain ein und übernimmt auch mal den Lead. Zum Beispiel im schlichten "Sam And Jeanie McGreagor", das mit cleaner Gitarre, Bass und Tamburinsound einen verträumten Einstieg in das Album bietet. "Is this why I was born, to carry all this hurt, some cruel experiment?" Die herzensschwere Frage passt nicht so recht zum darauffolgenden "La-di-dah"-Intermezzo.
Vielleicht ist es aber gerade diese kognitive Dissonanz, die Yorkston hier beabsichtigt. Er stellt die Schönheit des Lebens der Flüchtigkeit gegenüber, sinniert über verpasste Chancen und gute Zeiten. Der Track "The Great White Sea Eagle" unterstreicht mit sphärischen Synth- und Violinensounds ein von Yorkston eingesprochenes Gedicht, das vom Überwinden einer schweren Lebensphase im Leben seiner Tochter erzählt. Als alles schwer und unmöglich erschien, war da im Wipfel eines Baumes auf einmal ein Weißbauchseeadler - eine Ablenkung, ein Hoffnungsträger, ja vielleicht sogar ein Botschafter auf geheimnisvoller Mission.
Mit "A Sweetness In You" erinnert Yorkston an Scott Hutchinson, Sänger der Band Frightened Rabbit, der sich 2018 das Leben nahm. Nachdenklich fragt sich Yorkston: "Do I tell my children that life isn't for everyone? No, of course I do not tell them that just yet" Yorkston denkt viel darüber nach, was er seinen Kindern sagen und mitgeben möchte und auch darüber, was er gerne anders gemacht hätte. "An Upturned Crab" beklagt die Zeit, die er mit seinen Kindern verpasst hat, weil er ständig auf Tour war. Die Kleinen wachsen zu schnell auf. Erstaunt stellt er fest, dass auch bei ihm die Uhr nicht stehen geblieben ist und die erste Hälfte des Lebens plötzlich hinter ihm liegt. Auch sein Vater wird älter und hat Mühe, mit den Enkeln mitzuhalten. Vielleicht ist das alles aber gar nicht so ernst und nur eine überzeugend gespielte Rolle: "He's just an actor playing an older man, keeping up with the grandchildren."
Auf dem bisherigen Lebensweg ließ sich so manche Lebensweisheit aufsammeln, die Yorkston auf "The Great White Sea Eagle" weitergibt. In "Hold Out For Love" ermutigt er gemeinsam mit Persson zum Glauben an die große Liebe und den eigenen Wert: "Don't sell yourself short for the sake of a moment. Oh hold out for love.". Auch wenn es schwer sei, nicht die Hoffnung zu verlieren, solle man es zumindest versuchen: "If you can, you should." Eine zwitschernde Querflöte stimmt in das optimistische "Da-dam, da-dam" des Refrains ein. Bloß nicht den Mut verlieren!
Auch die darauf folgenden Songs kommen melodisch eher munter-beschwingt daher. Bei "Peter Paulo Van Der Heyden" mit dem eingängigen Klavier-Hook, einem gemütlichen Beat und groovigen Sixties Gitarrensolo, gehört schon viel Willenskraft dazu, nicht mit dem Fuß zu wippen. Allzu überschwänglich wird die gute Laune dann aber doch nicht, denn das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof. Deswegen findet sich hier auch das ein oder andere Gerippe, das daran erinnert, dass es irgendwann zu Ende geht. "A Hollow Skeleton Lifts A Heavy Wing" ist das Grand Finale des Albums, in dem das Second Hand Orchestra all seine Facetten darbietet. Mit schwarzem Humor und einer Prise Zynismus verflucht Yorkston das Älterwerden: "You've reached half way for better or worse. If the first half was rough, oh the second is a curse." Selbstironisch zieht er die Melancholie seiner eigenen Texte in "The Heavy Lyric Police" durch den Kakao, während Saxophon und Geige einen jazzigen Soundsalat zaubern.
Ohne selbst dabei gewesen zu sein, fühlt man die kreativen Funken, die bei den Aufnahme-Sessions sprühten. Yorkston ist kein Einzelgänger. Das zeigte sich schon in den Anfängen seiner Karriere, als er Teil der Fence Collective (unter anderem mit Rozi Plain) und später mit dem Musikerkollektiv The Athletes unterwegs war. Die Kollaboration mit den Schweden tut ihm gut. Das hört und spürt man. The Second Hand Orchestra hat Potential, Yorkstons neue Power-Gruppe zu werden. Vielleicht lässt sich auch Nina Persson von den Cardigans abwerben. Einen Versuch wäre es wert.
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