laut.de-Kritik
Entspannte Neuaufnahmen in akustischem Gewand.
Review von Giuliano BenassiÜber Beschäftigungsmangel kann sich der Frontmann von Wilco in den letzten Jahren nicht beschweren. 2014 veröffentlichte er mit seinem Sohn Spencer am Schlagzeug das Album "Sukierae", gefolgt von einer Welttour. Parallel dazu produzierte er Richard Thompsons Album "Silly" (2015). Mit seiner Band kamen "Star Wars" (2015) und "Schmilco" (2016) auf den Markt, ebenfalls begleitet von zahlreichen Auftritten. Im Juni 2017 fand das Solid Sound Festival statt, das Wilco seit den 1990er Jahren kuratieren und das alle zwei Jahre stattfindet.
Offenbar noch nicht genug, denn im Januar 2016 begab sich Tweedy in Wilcos Studio in Chicago und nahm sich mit Akustikgitarre und Mundharmonika altes Material vor. Eine einfache Übung, möchte man meinen, zumal er bei Solotouren gerne genau das tut. Doch birgt solch ein Unterfangen auch das Risiko der Belanglosigkeit: Lagerfeuer- oder Demoversionen alter Stücke braucht nun wirklich niemand.
Tweedy umschifft die gefährliche Klippe, indem er sich der eigenen Geschichte mit kindlicher Neugierde näherte. "Was, das soll ich wirklich geschrieben haben?", so der Eindruck, den er vermittelt. Zärtlich interpretiert er seine Stücke und erinnert dabei immer wieder an Neil Young, der auch nach über 50 Jahren immer noch darüber erstaunt ist, was aus ihm alles heraussprudelt. Musik als Ergebnis kosmischer Kräfte vs. handwerkliche Fleißarbeit, also.
Im Gegensatz zu Young wirkt Tweedys Stimme kräftig und moduliert, dazu klingt sie angenehm tief. Neben bekannteren Stücken von Wilco bedient er sich auch bei seinen Seitenprojekten Loose Fur ("Laminated Cat", 2003) und Golden Smog ("Lost Love", 1998).
"I'm Trying To Break Your Heart", das 2002 "Yankee Hotel Foxtrot" eröffnete, war eine fast siebenminütige, dissonante Angelegenheit, die Tweedys Kampf mit Depression, Migräne und Medikamentenmissbrauch widerspiegelte. Nun ist es kaum mehr als halb so lang und klingt nachdenklich, aber kaum verzweifelt. Auch ein Zeichen dafür, dass Tweedy seine Dämonen besser im Griff hat.
Offenbar war es ihm wichtig, die Stücke aus der mittleren Schaffensphase seiner Band noch einmal auf Band zu bringen, denn das neueste Stück ist von 2011 ("Dawned on Me"). Außer "Sky Blue Sky" (2007) entstanden sie von 1998 bis 2004. Ob er mit dem Album-Titel meint, dass sie nun so klingen, wie sie klingen sollten, also indirekt seine Mitstreiter (und sich selbst) kritisiert?
Einmal greift er doch zu elektrischer Gitarre und Keyboard, nämlich auf "In A Future Age". Im Vergleich zum Original von 1999 aber in einer sehr dezenten Form. Ein Album also, das dazu verleitet, sich entspannt zurück zu lehnen. Interessanterweise erscheint es nicht bei Wilcos Label dBpm Records, sondern bei Brett Gurewitz' ANTI, das sich auf Americana im weitesten Sinne spezialisiert hat. Eine passende Heimat auch für die weiteren Neuaufnahmen Tweedys, die in den nächsten Jahren folgen sollen.
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