laut.de-Kritik
Von der Unschuld der Schuld.
Review von Amelie KöpplJehnny Beth mag es unbequem. Ob als Teil von John & Jehn oder Sängerin der Savages - mit ihrem Gesang verleiht sie jedem Song eine neue, vor allem eine mutige Facette.
Zum Auftakt ihres Soloalbums offenbart sie sich hingegen zuerst mit zittriger Stimme: "I am naked all the time". Doch schließlich wird der Track immer voller, aufreibender und im Zentrum steht ihr immer kraftvolleres Flehen: "I am young and innocent, but I'm burning inside."
Dieses Brennen ist noch beim nächsten Track "Innocence" zu spüren. Zwischen triphoppigen Beatspielereien und abgedrehten Synthesizern lehnt sich Beths Stimme hinein in wildes Klavierspiel. Nicht nur melodische Tiefe offenbart sie in "Flower". Ihr erstes Liebeslied an eine Frau nach ihrem bisexuellen Coming-out ist eingehüllt in wohlig-warmen, wabernden Sound, während Jehnny Beths Gesang verführerisch folgende Worte flüstert: "How come I can't get closer?"
In der Mitte des Albums erwartet uns dann das eindrucksvollste von insgesamt drei unerwarteten Features: Ein Monolog Cilian Murphys, dem Hauptdarsteller der Serie "Peaky Blinders", die für ihre musikalische Finesse viel Lob geerntet hat. Seine sonore Stimme rezitiert poetische Zeilen, die noch lange nach ihrem Verklingen im Kopf hin- und herwandern.
Das im Anschluss wahrhaftig geschmetterte "I'm The Man" dreht den Spieß der ersten Albumhälfte um. Jehnny Beth protzt mit kraftvoller Stimme und groben Texten in Einklang zum bedrohlichen Sound, der u.a. aus der Feder von Nine Inch Nails Atticus Ross stammt. Anstatt sich auf diesem Feuerwerk auszuruhen, schlägt das Album ein neues intimes Kapitel auf und gleitet Takt für Takt in eine Ballade ab: "The Rooms", eine kleine Geschichte über den Hunger nach menschlicher Nähe, hinterlässt eine fühlbare Traurigkeit und Leere nach dem großen Knall.
"Heroine" berührt ebenso tief wie "French Countryside", eine weiteren tieftraurigen Ballade, die von Jehnny Beths wunderschöner Stimme getragen wird. An genau dieser Stelle wird klar, dass "To Love Is To Live" inspiriert ist von Bowies letztem Album "Blackstar".
Jehnny Beths Solodebüt ist selbstreflektiert, experimentell und am besten im Ganzen zu genießen. Nur so entfaltet sich die volle Schönheit des Albums, von dem man nach Beths bisherigen Projekten vielleicht mehr Durchschlagskraft erwartet hätte.
"To Love Is To Live" jedoch kaut keine Klischees durch und erfüllt nur wenige Erwartungen, sondern zeichnet thematische und klangliche Kontraste: Weiblichkeit, Männlichkeit, Stärke, Schwäche, Schuld und Sühne - alles teilweise sogar innerhalb eines Songs. Und alles regiert von einer Stimme, die so klingt, als wäre genau das das Letzte, was sie tut.
2 Kommentare
Mir gefällt es.
Ich finds schon gut, aber leider nicht so gut, wie ich es mir erhofft hatte. Da ist jetzt kein schlechter Song drauf, aber auch nichts, was mir komplett die Socken auszieht. Ich mag die Lyrics, die Attitüde und die Breitschultrigkeit mit der sie ihre Inhalte transportiert, aber andererseits hat Greg Dulli diese Sex und Schuld Dichotomie schon vor 27 Jahren verhandelt und wird schon damals kaum der erste gewesen sein.