laut.de-Kritik
In der Ruhe liegt die Kraft.
Review von Kai ButterweckSeit nunmehr dreißig Jahren zählt Joe Henry zu den musikalischen Speerspitzen, wenn es um tiefenentspannte Singer-Songwriter-Klangkunst geht. Auch auf seinem neuen Studioalbum "All The Eye Can See" rückt der dreifache Grammy-Preisträger nicht von seinem bewährten Klangpfad ab.
Umrahmt von einem instrumentalen Prolog und Epilog untermalen die neuen Songs wahlweise düstere, aufwühlende und hoffnungsvolle Geschichten mit minimalistischen Sounds. Geprägt von der Schwere der jüngeren Vergangenheit, in der Joe Henry nicht nur das knebelnde Chaos der Pandemie, sondern auch eine Krebsdiagnose und den Tod seiner Mutter verkraften musste, wandeln Songs wie das melodische "Mission", das im zarten Country-Folk verwurzelte "Yearling" und das wunderbar sphärische "Near To The Ground" auf dem Pfad in Richtung Heilung, Hoffnung und Erlösung.
Joe Henry transportiert den tiefen Schmerz einer geplagten Seele mit viel Ruhe und einer unterschwelligen Stimmkraft, die jeder noch so düsteren Erzählung ein Kapitel der Hoffnung zur Seite stellt. Gemeinsam mit seinen langjährigen musikalischen Weggefährten und Freunden, darunter sein Sohn Levon Henry am Saxophon und an der Klarinette, David Piltch am Bass, Patrick Warren am Klavier sowie John Smith an der akustischen Gitarre nimmt Joe Henry den Hörer mit auf eine Reise, in der ein einziges Saxophon-Solo zu Tränen rührt ("O Beloved") und das wohlige Zusammenspiel zwischen sanfter Akustikgitarrenkunst und gesanglicher Experimentierfreudigkeit ("Pass Through Me Now") nicht mehr aus den Ohren will.
In einer hektischen Welt gönnt der Mann, der schon für Madonna am Kompositionsschreibtisch saß, seiner Hörerschaft eine Ruhepause der ganz besonderen Art. Egal ob am lodernden Lagerfeuer, vor dem kuscheligen Kamin oder in der verrauchten Eck-Bar: Mit den Songs des 16. Studioalbums des Mannes aus North Carolina entflieht man dem Chaos im Hier und Jetzt und findet ein wenig Zeit zum Durchatmen.
Wer sich für berührende Poesie im Einklang mit musikalischer Wohligkeit begeistern kann, dem sei "All The Eye Can See" wärmstens ans Herz gelegt.
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