laut.de-Kritik

Zum Album des Jahres in sieben Schritten.

Review von

Ist dir das Leben als gefeierter Musik-Star zu langweilig geworden? Möchtest du, dass man deine Arbeit endlich als wahre Kunst ansieht? Wolltest du schon immer Kritikerliebling werden? Kannst du deine Fans nicht leiden und magst gerne weniger haben? Hier findest du einen Leitfaden in sieben Punkten, den auch Julia Holter Schritt für Schritt für ihren Weg von "Have You In My Wilderness" zu "Aviary" abarbeitete.

1. Höre zur Einstimmung die letzten sieben Björk-Alben. Gleichzeitig. In doppelter Geschwindigkeit. Nimm danach deine Radiohead-Platten aus dem Schrank, gehe genau sieben Mal (nicht sechs Mal, nicht acht Mal und keinesfalls fünf Mal) mit einer Gabel über jede Seite und lege sie dann auf. Höre deinem siebenjährigen Cousin bei den ersten Gehversuchen an der Geige zu. Versuche danach, das gehörte Erlebnis zu überbieten. Erzähle später in Interviews ausführlich, warum du die Zahl Sieben gewählt hast und was sie für dein Gesamtwerk bedeutet.

2. Du hast Songs geschrieben? Schmeiß' sie weg! Oder, noch besser: Lege sie auf einen Stapel, reiß' sie auseinander und klebe sie wahllos wieder zusammen. Setze dich dann an ein verstimmtes Klavier, zieh' dir Boxhandschuhe an und spiele sie rückwärts. Singe dazu mit einer Socke im Mund. Stelle dir vor, du seist Yoko Ono auf Crack.

3. Neue Wege in der Kunst äußern sich ausschließlich über verstörendes Fiepen, Knarzen und Dröpen. Einen anderen Weg gibt es nicht. Keinen einzigen. Lade dir sieben schlecht gelaunte Dudelsackspieler ins Studio ein und stecke sie in Captain James T. Kirk-Kostüme. Lasse sie zeitgleich die Songs "Metal Machine Music A-2", "Mull Of Kintyre" und "Looking For Freedom" im Kanon spielen. Jedes Mal, wenn du "Shatner!" rufst, müssen sie theatralisch das ihnen zugewiesenen Stück wechseln. Dazu geben sieben Grundschullehrer mit kratzender Kreide an der Tafel den Takt an. (Holter-Beispiel: "Turn The Light On", "Everyday Is An Emergency".)

4. Verzichte auf jegliche Dynamik. Achte zugleich darauf, dass der Zuhörer bereits durch die pure Menge des Inputs erstickt. Unter den 90 Minuten von "Aviary" geht hier ja wohl gar nichts. Was spricht eigentlich gegen ein Septuple-Album?

5. Achte darauf, dass deine Texte nicht zu direkt werden. Nutze lieber eine Collage von zufälligen, möglichst mystisch beladenen Wörtern. (Holter-Beispiel "Everyday Is An Emergency": "Heaven in the Human in the Arches in the Weather in the Table in the Somber in the Clanging in the Kingdom / Wretched in the Moving in the Sleeping in the Swooning in the Bodies in the Morning in the Terror in the Lizard / In the Faces in the Chaitius in the Excess in the Casting / Chanting in the Metal in the Distance in the Burning in the Turning in the Sounding.") Wenn du das alleine nicht schaffst, nimm dir ein George R. R. Martin-Buch, schlage darin wahllos Seiten auf und nimm jeweils das erste Wort, das dir ins Auge springt. Musik und Lyrics müssen folgendes Schema ergeben: Fiep Frrz Heaven in the Tröt krkkt Human fiep in the drööp Arch-trrrks-es.

6. Vergesse niemals, wirklich niemals die surrealen Klang- und Stimmcollagen! Sie zeigen, wie anders du bist. Verbinde sie am besten mit Ambient-Einflüssen. (Holter-Beispiel: "Chaitius", "Another Dream") Dies unterstreicht noch einmal, wie komplett unvorhersehbar und eigenwillig du doch bist. Du bist kein Teil einer Herde, du gehst mit all den anderen Unvorhersehbaren und Eigenwilligen deinen eigenen Weg.

7. Vergiss nicht, ganz am Ende unter deiner Kakophonie als kleines Danke ein oder zwei halbe Songideen zu verstecken (Holter-Beispiel: "I Shall Love 2", "I Would Rather See"). So freuen sich die Tapferen, die bis hierher durchgehalten haben, und können stolz etwas von "Musik erarbeiten" reden. Du gibst deinen übrig gebliebenen Fans so das Gefühl, etwas besseres zu sein.

Hast du all diese Tipps perfekt umgesetzt, werden sich die Musikmagazine und Kenner mit Lobpreisungen nur so überschlagen. Dir könnte sogar ernsthaft der Titel "Album des Jahres" in so wichtigen Blättern wie Musikexpress, eclipsed oder bei laut.de winken. Wirklich anhören kann man sich den Kram dann aber nicht mehr.

Trackliste

  1. 1. Turn The Light On
  2. 2. Whether
  3. 3. Chaitius
  4. 4. Voce Simul
  5. 5. Everyday Is An Emergency
  6. 6. Another Dream
  7. 7. I Shall Love 2
  8. 8. Underneath The Moon
  9. 9. Colligere
  10. 10. In Gardens' Muteness
  11. 11. I Would Rather See
  12. 12. Les Jeux to You
  13. 13. Words I Heard
  14. 14. I Shall Love 1
  15. 15. Why Sad Song

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Julia Holter

Ihr Vater, ein Musiker, hat bereits mit der amerikanischen Folk-Legende Pete Seeger gespielt, ihre Mutter ist eine angesehene Historikerin, die der Fakultät …

13 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Einer der Platten mit Seltenheitswert, die man wirklich von vorne bis hinten durchhören und für sich ergründen muss. Die fantasievollen Arrangements und die verwunschene Atmosphäre finde ich total einnehmend. Für mich ihr bisher bestes Album.

  • Vor 6 Jahren

    Bei Musikexpress hat das Album 6 Sterne bekommen und
    ist Album der Woche.

    • Vor 6 Jahren

      kabelitz weiß halt bescheid: :smug:

      "Hast du all diese Tipps perfekt umgesetzt, werden sich die Musikmagazine und Kenner mit Lobpreisungen nur so überschlagen. Dir könnte sogar ernsthaft der Titel 'Album des Jahres' in so wichtigen Blättern wie Musikexpress, eclipsed oder bei laut.de winken."

    • Vor 6 Jahren

      Finde es halt von den Klangcollagen von "Tragedy" über die nostalgisch-poppigen Momente von "Have You In My Wilderness" bis hin zum avantgardistischen Gesamtkunstwerk "Aviary" eine äußerst spannende Entwicklung, die Holter da vollzogen hat, auch wenn so manche Sachen von ihr etwas überambitioniert und prätentiös daherkommen. Finde zum Beispiel "Ekstasis" deutlich anstrengender und verkopfter als "Aviary".

  • Vor 6 Jahren

    Hat da jemand dringend Aufmerksamkeit nötig oder hält dieser Kabelitz sich tatsächlich für witzig? Ich mein, wenn man's nicht kann sollte man es halt lassen und jemanden das rezensieren lassen. Am besten jemanden der sich ernsthaft für Musik interessiert.