laut.de-Kritik
Das Schicksal hat einen bösen Humor.
Review von Mirco Leier"Let me set the scene / Two lovers ripped at the seams": Ach, das Schicksal hat manchmal schon einen bösen Humor. Drei Jahre nachdem Kacey Musgraves mit "Golden Hour" ihre Liebe für ihren frisch geheirateten Partner Ruston Kelly besang und damit einen musikalischen Sonderzug sondergleichen hinlegte, liegt ihre Ehe in Scherben. Die Schmetterlinge in den Bäuchen sind längst tot, der Inhalt des Albums tönt rückblickend bittersüß. Das einzige gute daran: Der Inhalt des Nachfolgers zu "Golden Hour" schreibt sich damit quasi von allein. "Star-Crossed" ist ein ehrliches Breakup-Album, dass Kaceys Leben nach der Scheidung bebildert, voller Sehnsucht, voller Trauer, voller Wut und voller neu gefundener Freiheit.
Kacey hat mit ihrem letzten Album einen Nerv getroffen. "Golden Hour" war Country für all die, die Country eigentlich gar nicht mögen. Eine in Zuckerwatte gebettete Melange aus ihren auf Gitarrensaiten gespannten Wurzeln und einem zeitgemäßen Pop-Appeal, die den Drahtseilakt zwischen 'Yee-haw' und TikTok nahezu perfektionierte. "Star-Crossed" tippt die Waage nun noch stärker Richtung Pop und lässt die Klampfe beizeiten sogar komplett links liegen, was dem Album allerdings nur bedingt zugutekommt.
Songs wie "Breadwinner", "There Is A Light" oder "Cherry Blossom" sind die vielleicht größten Schritte in neues Terrain für Musgraves in ihrer bislang wenig wagemutigen Diskographie. Die verträumte Reduziertheit ihrer letzten Alben macht für wenige Minuten Platz für elektronische Percussion, opulent-schimmernde Synth-Lines und Hooks, die fürs Formatradio maßgeschneidert wurden.
Zu sagen, dass genau diese Bekenntnisse zum Massengeschmack die Krux der LP wäre, wäre allerdings zu einfach, und im Falle von "Breadwinner" auch schlichtweg falsch. Der Song beweist nämlich eindrucksvoll, dass die Texanerin durchaus fähig ist, einen schnörkellosen, guten Popsong zu schreiben. Gleiches gilt für "Simple Times". Sicherlich könnte man "Cherry Blossom" auch als die Kehrseite dieser Medaille anführen, aber das ausschlaggebende Problem von "Star-Crossed" sind die vielen Momente, in denen Musgraves versucht, aber scheitert, das zu reproduzieren, was Alben wie "Golden Hour" oder "Pageant Material" so rund, anders und in der Folge erfolgreich machte.
Die fast schon transzendente Schönheit die charakteristisch für Musgraves Musik war, weicht einer geerdeten Emotionalität, die sich dem Hörer aber oftmals entzieht. "Hookup Scene", "If This Was A Movie.." oder "Keep Lookin' Up" rekapitulieren alle zutiefst persönliche Kapitel ihrer Ehe (respektive der Zeit danach), lassen aber nie den Funken überspringen. Das ist Popmusik, die von Herzen kommt, aber letzten Endes genauso schön und gut gemeint, wie sie zahnlos und nichtssagend ist. Fast einer Stunde hört man ihr dabei zu, wie sie diesen einschneidenden Abschnitt in ihrem Leben verarbeitet, ohne am Ende wirklich die Signifikanz des Ganzen fassen zu können.
Am greifbarsten wird die verwirrte Gefühlswelt der 33-Jährigen, wenn einzig ihre wunderbare Stimme als Vehikel dafür dient. Auf dem eröffnenden Titeltrack beispielsweise steigert sich Musgraves von nostalgisch-verstaubter Rationalität hin zum cineastischen, vor Pathos triefenden Ausschrei des Album-Titels. Das tut weh und setzt einen emotionalen Grundton, an den nur wenige der folgenden 14 Tracks anknüpfen können. "Angel" und "Camera Roll" gelingt dies noch am besten. Begleitet von einer leise weinenden Akustik-Gitarre suhlt sich Musgraves darauf in wunderschöner wenn auch schmerzlicher Melancholie.
"Chronological order and nothing but torture /Scroll too far back, that's what you get": Es sind Momente wie diese, den sie auf "Camera Roll" beschreibt, die einen der Tragödie näher bringen, die das Ende einer Beziehung meistens bedeutet. Da liegt sie in ihrem Bett, scrollt ein wenig zu weit in ihrer Smartphone-Galerie zurück und ist plötzlich wieder da an diesem vergessenen Ort der Geborgenheit und der Liebe, der ihr hämisch vom Display entgegen grinst. "And what’s crazy is that we never take pictures of the bad times", erzählt sie Apple Music. Stimmt. Man selbst muss unweigerlich an all die Momenten denken, in denen es einem selbst so erging und man es nicht übers Herz brachte all diese Herzschmerz-Relikte endlich in die Tonne zu treten: "It just doesn't feel right yet, not yet".
Der Closer "Gracias A La Vida" mag mit seinem aufgesetzten Radio-Knistern und holprigem Mixing musikalisch weniger gelungen sein, lässt das Album aber auf einer inhaltlich ähnlich spannenden Note enden. Der Song ist ein Cover von Violeta Parra, die wenig später nach der Veröffentlichung der originalen Single Suizid beging. Musgraves sagt, der Song habe sie während eines Mushroom-Trips gefunden und sei ein wunderschönes Liebesbekenntnis an das Leben, mit all seinen Wundern und Schattenseiten, was als Epilog auf einem Album wie diesem wunderbar funktioniert.
Dieses Level an lyrischer Finesse ist auf "Star-Crossed" jedoch eher eine Ausnahmeerscheinung. Über weite Strecken bleibt die Tracklist relativ vage, tonal unentschlossen und scheint sich davor zu scheuen, sich vollends dem Pathos und dem Kitsch hinzugeben, der Musgraves Musik in diesem Falle sogar gut tun würde. So entsteht ein durchwachsener Mischmasch aus seichten Selbstbestimmungs-Balladen, ungewohnt unaufgeregten Pop-Anleihen und seltenen Momenten der Klarheit, in denen tatsächlich spürbar wird, was für ein emotional aufgeladenes Album "Star-Crossed" eigentlich hätte sein können.
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