laut.de-Kritik
Warum die Komfortzone verlassen?
Review von Julius StabenowEs gab eine Zeit, da galt Kalim völlig zurecht als einer der spannendsten Rapper Deutschlands, eine rosige Zukunft stand am Horizont. Sein einzigartig ignoranter Flow, die prägnante Stimme, hervorragendes Beatpicking, die catchy Hooks und eine düster-bedrohliche Soundästhetik waren zumindest bis zum 2017er Album "Thronfolger" ein unheimlich sicheres Gesamtpaket.
Obwohl sich seitdem im Prinzip nicht viel verändert hat, konnte der Hamburger diese Qualität in der Folge nicht ganz halten. Seinem kommerziellen Erfolg stand das nicht im Wege, ganz im Gegenteil: Seit er die Formel geknackt hat, wirkt Kalim eher wie eine Kopie seiner selbst, der seinen Sound zugunsten von Klicks und Chartplatzierungen verwässert hat. Das gilt auch für sein neues Album "Nur Für Meine Augen".
Für ein in sich geschlossenes, starkes Album reicht dieser Ansatz nicht mehr aus, das scheint auch der Rapper selbst verstanden zu haben. Gleich sieben der 13 Songs wurden vorab als Single veröffentlicht, die, für sich genommen, fast alle durchaus ihren Charme haben. Das Problem ist die Eintönigkeit über die Gesamtspieldauer. Kalim hat sich in seiner Komfortzone eingenistet und wird diese so schnell nicht verlassen, solange die Klicks stimmen.
Warum auch nicht? Stellt der solide Durchschnitt des eigentlich überdurchschnittlich talentierten Rappers noch immer den Großteil aktueller deutscher Straßenrap-Veröffentlichungen in den Schatten. Trotzdem entsteht besonders bei den Solosongs schnell der Eindruck, er würde sich keine große Mühe geben und sein persönliches Universum rund um Guntalk, schnelle Sportwagen, schweren Schmuck und leichtbekleidete Ladys nur sehr ungern verlassen wollen.
Besonders deutlich wird das im Intro-Song "Es Gibt Sachen Die Macht Man Nicht", einem der schwächsten Tracks der Platte. Kalim verliert sich trotz guter Grundidee in zu vielen Klischees und Plattitüden, die holprige Hook holt leider auch nichts mehr heraus. Er scheint sich seiner Sache oft zu sicher, und ohne Feature fehlt auch die lyrische Konkurrenz. Erstaunlicherweise ändert sich die Sache, sobald Gäste involviert sind, allen voran das Highlight "Watch The Body Drop".
Hier zeigt Kalim, wozu er auch 2024 noch im Stande ist, wenn er locker mit einem bestens aufgelegten OG Keemo mithält. Viel trägt auch das dunkel und intensiv hämmernde Trap-Beat-Brett bei – von der Sorte, die dem Künstler schon zu Beginn seiner Karriere bestens gestanden hat. Ähnliches gilt für die rumpelige Boombap-Kollabo "Gutter" mit einem durchaus hörbaren Haftbefehl-Part. Keine Selbstverständlichkeit in einer Zeit, in der die Offenbacher Legende eher in den Klatschspalten mit offensichtlichen mentalen Krisen als im Ghetto auftaucht.
Ein letztes erwähnenswertes Feature ist "Big Stepper" mit Shindy, der mit seiner arroganten Vortragsweise noch am ehesten mit Kalim vergleichbar wäre. Der langsam rollende und tief wummernde Beat untermalt das Duo perfekt. Doch selbst wenn die Gäste nicht so abliefern wie erwartet (Faroon, Nizi19), hilft Kalim die Herausforderung oder Inspiration, um die besseren Parts zu schreiben, als wenn er für alle Verses selbst verantwortlich ist und nur mit Glück die Zwei-Minuten-Marke knackt. Ausnahme: Auf "P-Mag" steuert er lediglich die Hook zu zwei souverän geflowten Parts der HoodBlaq-Jungs Safraoui und Mali bei.
Kalims Stärke liegt nach wie vor im Erschaffen einer düsteren Atmosphäre als Pate vom Block auf langsamen und bedrohlichen Trap-Beats, mit denen er im tiefergelegten Lamborghini und der Halbautomatik im Handschuhfach im Schrittempo durch die nächtliche Hood rollt. Leider setzt der Rapper auf dem aktuellen Werk viel zu häufig auf undankbare und hektische Instrumentals, bei denen er teilweise große Mühe hat, seinen so einzigartigen Flow auf den Takt zu bringen.
So bleibt nicht viel mehr als ein grundsolides Album, das den Fokus mehr auf den einzelnen Songs und weniger auf einem in sich stimmigen Konzept hat. Kalim weiß aber definitiv, was er tut und wird vermutlich auch in Zukunft kein wirklich schlechtes Release veröffentlichen, weil er spielerisch leicht Erwartungen genau bedienen kann. Würde er sich etwas mehr Zeit lassen und auf seine musikalischen Stärken setzen, wäre da definitiv mehr drin. Darauf muss er aber wohl erst mal Bock haben.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Ich versuch's mal evtl aus. WTBD is hot und Big Stepper ist gar nicht mein Ding. Alles schon gesehen und gehört und da wirkt so ein Shindy Gegrinse auch eher unsympathisch. Naja, ist mir allgemein zuviel Gun talk und demon time.
finds ganz ok. Big stepper ist hart. Gutter auch.
3/5 passt.
"Gutter auch."
Vor allem Hafti dem fast die Zunge aus dem Maul fällt. Schon lange nicht mehr so einen unterirdischen Schrott gehört.
Ja Haft ist sowohl optisch als auch am mic eine verschobene hülle geworden. aber irgendwie passt das