laut.de-Kritik
Berlin, Berlin! Immer noch Berlin.
Review von Giuliano BenassiBerlin ist schwer in Mode - keine Neuigkeit für diejenigen, die in Deutschland leben. Im Ausland hört man jedoch nach wie vor begeisterte Erfahrungsberichte. "Capital of cool" betitelte die britische Tageszeitung The Times einen Artikel im April 2018. Berlin habe London als interessanteste Stadt Europas abgelöst. Ein Beispiel unter vielen.
Welche Folgen haben dieser Ruf - und die Menschenmassen, die ihm folgen? Kitty Solaris, die schon lange dort lebt, macht sich ihre Gedanken. "Berlin, Berlin! Immer noch Berlin. Kann man sich das noch leisten? Was muss ich machen, um den Anschluss nicht zu verlieren? Der Tourismus boomt. An allen Ecken Party und Alkohol und dazwischen die, die versuchen, hier klarzukommen und zu leben. Häuser, Stadtteile werden renoviert und gentrifiziert. Die Mieten steigen ins Unermessliche und trotzdem verliert die Stadt anscheinend niemals ihr unaufgeräumtes, dreckiges Gesicht und ihre Anziehungskraft. Sie ist immer noch ein Magnet für Publikum aus der ganzen Welt, denn im Vergleich zu den anderen Großstädten gibt es immer noch die Nischen und die kreativen Räume für Musiker und Künstler mit dem Traum, ein unabhängiges Leben zu verwirklichen. Noch – und wer weiß, wie lange noch", heißt es auf ihrer Webseite.
Und so hat sie ihr sechstes Album der Stadt gewidmet. "It's a cold cold city, a rock'n'roll city, excuse me if I'm not pleased", singt sie im Titeltrack - ein Satz, den sie auf der Straße aufgeschnappt hat: "Ein Tourist im T-Shirt im Winter mit einer Flasche Sekt, der bei kaltem Nieselregen die Revaler Straße entlang geht". Passend dazu die musikalische Begleitung, die auf dieser Platte weniger tanzbar als sonst ausfällt. Steffen Schlosser spielt wieder die meisten Instrumente, holt diesmal aber den Carlos Alomar in sich heraus und verpasst dem Album einen Vintage-Klang, der immer wieder an David Bowie und Iggy Pop erinnert, die ja in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre in Berlin ihr Unwesen trieben.
Noch minimalistischer fällt das wahrscheinlich beste Stück aus, das hypnotisch klingende "Dirt", getragen von einem einprägsamen Riff und Kittys verzerrter Stimme. Doch bleibt auch viel Raum für eher ruhiger Momente. Eine Klarinette verleiht "Goldmine" (mit der bemerkenswerten Zeile "You can call it love, maybe it's just addiction") eine verträumte Note, "Giulia" ist eine klassische Ballade mit gezupfter Gitarre und den tiefen Noten einer Bassklarinette, auch "Life In A Dream" schlägt zurückhaltende Töne an.
Wie vielseitig der Longplayer ist, zeigt sich auch bei "Lost Son" (rockig), "Tourist In My Own Town" (folkpoppig), "Never Been Away" (balladesk, aus der Feder von Labelkollegin Marta Collica) sowie den abschließenden "Night Trip" und "Shimmering" (einigermaßen verstrahlt). Er besticht durch einen warmen Klang, den Produzent Jochen Ströh in den Lovelite Studios hörenswert gemischt hat.
Mit "Cold City" liefert Kitty Solaris ihr Singer/Songwriter-Album ab, gleichzeitig ihre Eindrücke einer Stadt, die im steten Wandel bleibt. Das hat sicherlich mit den historischen Gegebenheiten zu tun, denn durch die Trennung von Ost und West und der zunächst zögerlichen Vereinigung hatte sie lange einen ganz eigenen Flair.
Nun ist Berlin eine boomende Großstadt, die die Probleme - und Möglichkeiten - aller boomenden Großstädte hat. Dennoch bleibt die Chance bestehen, einen Teil ihres anarchischen Charmes zu bewahren: In der Liste der meistbesuchten Städte taucht Berlin mit nur etwas mehr als ein Viertel der ausländischen Besucher Londons recht weit unten auf.
2 Kommentare
Doch wieder rockiger nach den elektronischen Ausflügen. Dann höre ich mal rein. Gerade "Under The Yellow Sun" habe ich positiv im Gedächtnis.
Berlin ist so ziemlich der uncoolste Ort Europas. Ein sofortiger Abturner.