laut.de-Kritik
Huckepackpogo mit Rumpelstilzchen auf Koks.
Review von Manuel Berger"Die Welt ist am Ende / Kurz vorm Kollaps / Alle wissen Bescheid." Nanu? Werden Knorkator nach 25 Bandjahren etwa plötzlich konkret politisch?
Nee, keine Sorge. Ein paar subtile Untertöne zum Weltgeschehen flicht "Deutschlands meiste Band der Welt" zwar hie und da ein (sehr zynisch: "Krieg"), ihr Patentrezept für die Generalrevolution gegen alles formulieren sie aber schon im Eröffnungslied in gewohnter Unverblümtheit: "Scheißt alle in die Hosen, Leute! Und zwar sofort!" Schilder in die Höhe halten ... langweilig.
"Widerstand Ist Zwecklos" ist Knorkator durch und durch. Schon in den ersten beiden Songs wirft Frontzwuckel Stumpen mit seinen typischen Aufzählreimen um sich und pendelt dabei stets zwischen im Ansatz intellektuellen Gedanken und völligem Humbug. So unschuldig MoneyBoy vor ein paar Jahren in "Choices" "Hitler" auf "Pizza" reimte, so packt Stumpen jetzt Terrorismus und Spießer in einen Satz: "Einer sprengt alles in die Luft, der andre sprengt sein' Rasen." Zusammenhänge erzwingen, wo keine sind: auch eine Form von Humor.
Diese Leier ziehen Knorkator freilich nicht zum ersten Mal durch. Dass das Spiel beim neunten Album immer noch so gut funktioniert, liegt auch daran, dass nach wie vor niemand sonst so herrlich stinkig ins Mikro speit wie Stumpen. Wie Rumpelstilzchen auf Koks in Aggressionstherapie regt er sich in "Ein Wunsch" über seine eigene Unzufriedenheit auf und kommt irgendwann auf die Idee, dass es am besten wäre, zu wollen, nichts mehr zu wollen – und: "Ich will, dass die Welt so ungerecht bleibt, aber mich das nicht mehr juckt!" Seine Bandkollegen hacken derweil Nu Metal-Riffs vor sich hin, zu denen der Huckepackpogo von ganz allein kommt.
Seine sanfte, vielleicht noch verstörendere Seite kehrt Stumpen dann unter anderem im folgenden "Ring My Bell" nach außen. Das Cover singt er in der gleichen hohen Tonlage wie Anita Ward, klar. Alf Ator grunzt dazwischen, Buzz Dee und Rajko Gohlke wecken mit Slapeinlagen die Funk-Vibes des Original und schieben Metalwände dazwischen.
Solche gekonnten musikalischen Spagate sind der Grund, warum Knorkator anderen Spaßkapellen seit Jahren auf der Nase herumtanzen. Hinter all dem Geblödel (einmal rezitiert Stumpen plötzlich wahllos Hit-Titel, von "Nutbush City Limits" bis "Wir Sind Die Roboter") verstecken sich extrem versierte Musiker, die spielerisch zwischen verschiedensten Genre-Elementen springen. So zaubert die Band in "Rette Sich Wer Kann" einen himmlischen Balladen-Refrain inmitten von Rammstein-Strophen, schreibt dem Waschvollautomat einen schmutzigen Lovesong zwischen Depeche Mode und Blockbuster-Soundtrack und kombiniert in "Krieg" Militärfanfaren mit Slayer-Solo.
Manchmal mutiert dieser überbordende Ideenreichtum aber auch zum Fluch. "Zu Kurz" ist die teils selbstironisch darauf blickende Hymne dafür. In sechs Minuten reisen Knorkator von Synthiespielereien über Death Metal-Blastbeats von Drummer Nick Aragua, Kirchenchor, Gastrap von Thomas D, Lounge-Jazz-Interlude und dem bei diesem Songtitel unvermeidlichen lyrischen Schwanzvergleich bis hin zu einem lieblichen Outro-Gitarrensolo. Um hier noch Struktur zu wahren, passiert einfach zu viel in zu kurzer Zeit.
Ein Filter hätte in solchen Momenten gut getan, denn nicht jeder der vielen Kurswechsel zündet. B-Movie-Stimmeffekte verkürzen die Halbwertszeit des Depeche Mode-Covers "Behind The Wheel (Knorkator Version)" eher, als dass sie es bereichern. "Buchstabensuppe" sorgt zwar für einen kurzen Lacher, wenn Stumpen inhaltsleer Wörter klaubt, und liefert prototypische Moshpit-Untermalung. Mehr als Lückenfüller ist der Track auf dem Album aber nicht.
Trotzdem: Eine Hitdichte wie auf "Widerstand Ist Zwecklos" erreichten Knorkator seit ihrer Rückkehr aus der von 2008 bis 2011 andauernden Pause noch nicht. Für Fans bieten sie einen reichen Fundus neuen Materials und unterstreichen mannigfaltig ihre Qualität. Als i-Tüpfelchen kommt das Jubiläumsalbum zum 25. Bandgeburtstag mit extra-üppigem CD-Booklet. Neben den Texten gibts dort jede Menge Livebilder, Fotomontagen und witzige Mini-Biografien zu jedem beteiligten Musiker. Kostprobe gefällig? "Nicolaj Gogow war von 1819 bis 1918 Bundeskanzler von Amerika. Zur Zeit ist er der jüngste Hundertjährige Deutschlands." Auf die nächsten 25 Jahre.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Scheibe fetzt. So ziemlich das beste, was sie seit "Ich hasse Musik" gemacht haben.
"Ich hasse Musik" war groß. Ich fand aber die "Es werde Nicht" aber auch ganz gut.
ja, auf jeden fall, die war auch ganz geil, aber die neueste ist wirklich überraschend gut. bin vielleicht aber auch gerade gehypted, weil ich nichts mehr erwartet habe.
Endlich wieder in alter Manier