laut.de-Kritik

Von sich selbst berauscht, aber auch leidenschaftlich.

Review von

"Wenn man einmal erkannt hat, dass alles zusammengehört, eins ist, Menschen, Tiere, die Erde, und wenn man sieht, wie wir mit unserer Welt umgehen, dann ist es eine Notwendigkeit, Widerstand zu leisten. Dann wird eine Rückbesinnung auf das Wesentliche unerlässliche Pflicht." Mit Konstantin Wecker ist es ein wenig wie mit Brecht. Beide können einem mit dem Politisieren unfassbar auf den Sack gehen. Beide sind jedoch so viel barockes Fleisch und Wucht, sind so gut in dem, was sie tun, dass man ihnen den onkelhaften Zeigefinger verzeiht. "Ohne Warum" ist einmal mehr eine lodernde Brandrede an die Welt.

Zu dieser Platte scheint die Tafelrunde um den Singer/Songwriter-Thron klar verteilt. Reinhard Mey gibt überzeugend den altersweisen Sunnyboy, Hannes Wader serviert sich mit dem vertrockneten "Sing" selbst ab. Und Rio ist leider immer noch tot. Nur Heinz Ratz' Strom & Wasser ("Mondpunk", "Anticool") lässt die Kollegen gelegentlich so alt aussehen, wie sie sind.

"Ohne Warum" passt leider nicht komplett in die Helden-Rubrik des süchtig machenden Alterswerks. Rein handwerklich ist der musikalische Rahmen – Weckers eigenwilliger Bastard aus Schubert, Folk und Blues – erlesen. Auch die paar Tröpfchen epischen Theaters stehen manchen Songs grundsätzlich gut zu Gesicht.

Wecker scheitert in der politischen Hälfte an sich selbst und der eigenen, pausbackigen Goethe-Haftigkeit. Sein von sich selbst berauschtes Priestertum wäre gern aufklärerische Bergpredigt. Doch steht er da wie eine händeringende Helen Lovejoy im Klageweib-Modus. Die wichtige Botschaft lässt kalt, weil ihr Botschafter in der Darbietung leider versagt ("Ich Habe einen Traum", "Der Krieg"). Dagegen ist er immer dann besonders gut, wenn er die eigene Persönlichkeit voll ausspielt und Originalität nicht durch Selbstergriffenheit ersetzt.

Doch Wecker schnappt sich die alte, muffig verstaubte Aufklärerperücke. Statt sprachlicher Originalität und ergreifender Stimme bietet er ausgelutschten Plattitüdensalat mit ordentlich Pathossoße, wonach jeder Arme gerne teilt und jeder Reiche ein Ignorant sei. Vor allem der sakrale Ernst seiner "Ich-aber-sage-euch"-Aura verleihen der Darbietung zwischendurch ein irritierendes Maß unfreiwilliger Komik.

Die Musik taugt nicht durchgehend zur Verbesserung des Bildes. Das Titelstück etwa setzt unpassend auf einen kitschigen Kinderchor. Bei "Der Krieg" oder der geänderten Neuauflage seines Kultsongs "Willy" unterbricht er mitunter rigoros, um eine Art Agit-Vorlesung zu halten. So erstarrt alle Kunst spätestens im wiederholten Hördurchgang zur öden Labertaschen-Session.

Und während man die Platte schon als fetten Schuss in den bajuwarischen Ofen abstempelt, reißt Wecker das Steuer auf einmal herum. "Fast Ein Held" kommt leidenschaftlich und mit schicksalsschwerem Pianokontrast um die Ecke. Langsam werden die Songs privater und persönlicher. Furcht, Liebe und Wollust des Lebens. Sobald er den Boden des reinen Politsongs verlässt, ist da echtes Gefühl.

"Das Alles So Vergänglich Ist" bietet viel Lebensweisheit und sprachliche Eleganz in nur zwei Minuten. Zum Ende des Stücks gibt es sogar hochsympathische Selbstironie und echtes Augenzwinkern. Auch musikalisch geht es endlich detailfreudig ab. "Und Dann" etwa bringt eine dramaturgisch perfekt gezirkelte Trompete im schmucken Nachtjazzmantel.

Als Höhepunkt kristallisiert sich "Heiliger Tanz" heraus. Die ganzheitliche Sinnlichkeit seiner Zeilen vermeidet jedes Eso-Klischee und spiegelt Wecker in seiner gelungenen Lieblingspose als barocke Mischung aus Libertin und Buddha. Die hier auftauchende Duettpartnerin ergänzt das musikalische Bild als passender Sidekick: "Alles muss heiliger Tanz sein!"

So erhält man mit "Ohne Warum" ein verwirrend janusköpfiges Album. Die gute Hälfte der Songs ist extrem stark und über jede Kritik erhaben. Die dunkle Seite dieses Mondes transportiert ein dröges Trauerspiel für moralinsaure Studienräte.

Trackliste

  1. 1. Ich habe einen Traum
  2. 2. Ohne Warum (sunder warumbe)
  3. 3. An meine Kinder
  4. 4. Novalis
  5. 5. Der Krieg
  6. 6. Die Mordnacht von Kundus
  7. 7. Fast ein Held
  8. 8. Dass alles so vergänglich ist
  9. 9. Die Gedanken sind frei
  10. 10. Eins mit Deinem Traum
  11. 11. Und dann
  12. 12. Auf der Suche nach dem Wunderbaren
  13. 13. Heiliger Tanz
  14. 14. Revolution
  15. 15. Willy 2015 (Zugabe)
  16. 16. Gefrorenes Licht (für Hans-Peter Dürr) (Zugabe)

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