laut.de-Kritik
Auch live bissig und sezierend, bis der allerletzte Pfeil sitzt.
Review von Artur SchulzNeben Hannes Wader ist Konstantin Wecker das unverwüstliche Urgestein der Liedermacherzunft. Als Nachschlag zum 2011er Studioalbum "Wut Und Zärtlichkeit" erscheint nun das Live-Äquivalent auf zwei CDs, aufgenommen überwiegend an zwei Abenden in der Alten Oper Frankfurt sowie der Essener Philharmonie.
Der Eröffnungsapplaus der Besucher fällt warm und herzlich aus. Vom ersten Ton an nimmt einen der Geschichtenerzähler gefangen. Der Titeltrack "Wut Und Zärtlichkeit" fügt sich nahtlos ein in die Palette Wecker'scher Bissigkeit und Beobachtungsgabe. "Mit dem Alltag und der Plage / stellt sich irgendwann die Frage / ist es besser, zu erkalten / lässt man alles schön beim Alten / soll man sich die Wunden lecken / legt sich in gemachte Betten / statt die Kissen mit Gefühlen / alten Trotzes aufzuwühlen?"
Damit bringt Wecker gleich eine seiner Kernbotschaften an den Start, die Frage nach der persönlichen Sinngebung fürs Leben. Für ihn gibt es von jeher nur zwei Seiten: Entweder man begräbt Träume und Kreativität zugunsten scheinbarer Sicherheit, oder man stellt sich mit mutigem Herzen Widrigkeiten entgegen. Dafür findet der Musiker eine Menge griffige Parabeln. Politische Einseitigkeit ist ihm dabei nicht vorzuwerfen. Fragwürdigkeiten von links wie rechts bekommen gleichermaßen ihr verdientes Fett ab.
Die Beobachtung der aktuellen Gegebenheiten fällt bissig und sezierend aus. In "Absurdistan" richtet er den Blick auf all den Wahnsinn rund um den Afghanistan-Einsatz, Hartz IV, G8, Sarrazin-Eugenik und Rüstungsexporten. "Denn wir brauchen Kinder, die funktionieren / wer braucht schon ein Kind, das lacht", geißelt Wecker den genormten Leistungszwang von Kindesbeinen an. Doch der Gewinn steht über allem, und so wandelt sich das deutsche "Absurdistan" bei ihm für eine Zeile ins nicht minder verachtenswerte "Raffistan".
Es mit allen großen, strittigen Themen und Fragen der Zeit gleichzeitig aufzunehmen, grenzt vielleicht an Größenwahn. Doch Weckers Pfeile sitzen. Nicht zuletzt dank einer spöttischen Herangehensweise, die an die goldenen Zeiten von Dieter Hildebrandts "Scheibenwischer"-Sendungen erinnert: In Umdeutung der klassischen Clausewitz-Doktrin bedeutet für ihn Kabarett die Fortsetzung des Witzes mit anderen Mitteln.
Seine Ansagen gelingen locker-süffisant und kommen beim Publikum gut an. Für willkommene Überraschungen sorgen zum Teil stark umarrangierte Nummern ("Frieden Im Land", "Vom Schwimmen In Seen Und Flüssen"), ansonsten stehen alte und neue Songs ("Wenn Unsere Brüder Kommen", "Die Kanzlerin") einträchtig nebeneinander.
Gegenüber der Studioproduktion erwacht mancher Titel (etwa das sarkastische "Damen Von Der Kö") live erst so richtig zum Leben. Neben den klassischen Instrumenten sorgen u.a. auch Mundharmonika, Ukulele, Sitar und Pedal Steel für Abwechslung. Mit "Wut Und Zärtlichkeit - Live" wurde ein stimmungsvoller Abend festgehalten, der Neueinsteigern einen prächtigen Überblick über Weckers Schaffen bietet.
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