laut.de-Kritik

Fantasievolle Lyrics zu harter Verzerrer-Tonkost.

Review von

Mit ihren ersten Soloalben schlug Kristin Hersh ab 1994 den Weg als akustischer Singer/Songwriter ein. Auf "Possible Dust Clouds" dominiert hingegen der Verzerrer. Die Independent-Produzentin, Autorin, Sängerin, Gitarristin und Perkussionistin nimmt ihren Sound erst perfekt auf, um ihn dann selbst zu zerfrickeln. Alle Spezialeffekte, zum Beispiel Rückkopplungen der E-Gitarre, Verstärker und Verzerrungen zusammengenommen, tauchen diese CD in eine einheitliche Stimmung: eine Atmosphäre des Kaputten, des bedrohten Idylls. Für die einen mag das angenehm, für die anderen fad sein - auf jeden Fall ist es typisch für Frau Hersh.

Ansatzweise ist der Begriff des Konzeptalbums gerechtfertigt, aber nur ansatzweise. Die "möglichen Staubwolken" sind zu abstrakt, um eine nachvollziehbare Geschichte zu erzählen. Sie malen aber ein Setting mit klanglichen Mitteln. Im Text zu "Lethe" heißt es: "Windows shaking, you dissipating. We're running in a sand, we're sinking in a sand, we're buried in a sand, in dissipating - with me." Die Geschichte vom Versinken und Verschwinden im Sand scheint weder von einem Erdbeben noch von einem Trip durch die Wüste inspiriert zu sein, sondern eine bildliche Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungen ("you, my only friend"). Wo spürt man im Facebook-Jahrzehnt Freunde, die mit einem zusammen etwas riskieren würden? Neue 'Freunde' sind schnell geadded. Die dramatische Situation von "Lethe" wird von Congas oder andere Trommeln, auf die Kristin selbst schlägt, zusätzlich unterstrichen.

Kristin Hershs Musik wirkt wie aus einer anderen Zeit entsprungen. Die Störgeräusche, Bass und Schlagzeug auf "Tulum" sowie ihr bläkender Gesang atmen den Geist von Punk, Grunge, Alternative Rock (im Stile von R.E.M. von um 1990) und Desert Rock à la Giant Sand. Auch bei diesem Song, "Tulum", entstehen beim Hören unweigerlich Assoziationen mit Wüste und Sand vor Augen oder Maschinen, Schmieröl und Gestein.

Nie hatte die Sängerin allzu liebliche Musik gemacht, war sie doch als Throwing Muses-Sängerin Teil einer Indie-Band der ersten Stunde in den 80er Jahren. Doch diese Platte verbindet die Härte der Anfangsjahre mit der fordernden, selbstbewussten und doch sensiblen Stimme, wie sie später auf Songs wie zum Beispiel "Like You" ("Strange Angels", 1998) und "Deep Wilson" ("Grotto", 2003) zu hören war. Vor allem der Schlusstrack brennt sich ein: "Lady Godiva".

Zwischen zarter, aber auch straight gespielter akustischer Rhythmusgitarre und punktuellen, wummernden elektrischen Verstärker-Geräuschen richtet sie sich gut ein. Ihre Stimme röhrt so voller Seele, dass Beth Hart in einer gerechten Welt allenfalls ihren Support spielen könnte. Vom Bekanntheitsgrad her sieht es heute zwar anders aus, und viele jüngere Kolleginnen (wie Hart) stehlen Kristin Hersh die Schau. Die adlige "Lady Godiva" aus dem 11. Jahrhundert war übrigens in der Rock- und Folkmusik immer wieder mal Thema von Songs.

Staubwolken prägen neben allen anderen Songs auch noch einen besonders intensiven auf der CD: "Foxpoint". Dieser Track ist von zerfräsenden Effekten durchzigen, um Gesang und Schlagzeug wie zwischen Staubwolken zu zerreiben, dass sich ein interessantes (zu kurzes) Soundexperiment entspinnt: Der Verzerrer zersägt die Vocals!

Hersh bleibt sich und ihrem Stil sehr treu und wird sich so wohl kaum ein jüngeres Publikum erschließen. Sie demonstriert aber sehr glaubwürdig den Geist der Indie-Punk Bewegung, sich von Erwartungen des Marktes frei zu machen und kreative Sounds zu erzeugen, die die Mittel und Optionen unserer kalten, technisierten Zivilisation ins Absurde führen.

Trackliste

  1. 1. LAX
  2. 2. No Shade In Shadow
  3. 3. Halfway Home
  4. 4. Fox Point
  5. 5. Lethe
  6. 6. Loud Mouth
  7. 7. Gin
  8. 8. Tulum
  9. 9. Breathe In
  10. 10. Lady Godiva

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