laut.de-Kritik
Alles an ihm setzt den Fokus auf Musik. Und die ist gut.
Review von Yannik GölzEs gibt inzwischen eine Menge Artikel und Videos, die den Lacazette-Hype erklären wollen. "Seit ich da bin ist dein Donnerstag gerettet", hat der Kerl selbstbewusst behauptet, der diesen Sommer aus dem Nichts in die Szene explodiert ist. Vierzehn gerettete Donnerstage später ergibt das jetzt ein Album: "LID" ist vermutlich der abgefahrenste Deutschrap-Rollout ever, und Lacazette genießt möglicherweise den größten Straßenrap-Hype der deutschen Musikgeschichte. Da versteht man den Impuls, in ihm jetzt einen nie dagewesenen Revoluzzer zu suchen.
Sucht man in diesem Projekt etwas Innovatives oder Neues, weil es eben so beispiellos erfolgreich ist, zäumt man das Pferd aber ein wenig von hinten auf. Ich würde "LID" erst einmal zuschreiben, ziemlich normaler Straßenrap zu sein. Ich würde "LID" aber auch sofort zuschreiben, verdammt guter Straßenrap zu sein. Dementsprechend habe ich heute leider nicht den einen großen Hot Take, warum dieses Phänomen so wie Hölle funktioniert. Aber ich habe vier Theorien, warum Lacazette gerade jetzt vielen Leuten so erfrischend vorkommt: Er hat eine sehr eigene Stimme, er arbeitet cool mit Deutschrap-Tradition, er zieht die richtigen Schlüsse aus der Amirap-Gegenwart und zuletzt: Er fühlt sich angenehm wenig affig an.
Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Theorie eins wäre, dass der Kerl diese supermarkante Stimme mitbringt. Damit meine ich nicht nur, dass seine Vocals einen eigenwilligen Ton haben. Er arbeitet auch sehr cool mit Slang und Dialekt und er schaltet dynamisch zwischen Ernst, Pathos und Galgenhumor hin und her. Da ist etwas Rohes und Ungestümes in der Art, wie er Sachen formuliert - oft setzt er das Timing ein bisschen anders, als man es erwarten würde, oft delivert er Lines nicht auf die naheliegendste, smoothste Art.
Heraus kommt ein Rapper, der sich endlos zitieren lässt. "Das war'n siebzig Schüsse ausm G-Wagon" oder "Freunde sagen: 'Brudi, du musst bisschen runterfahren'" sind schon mehr oder weniger Meme-Vokabular, aber es sind nicht nur diese Offkey-Momente, die ihn so markant machen. Er hat ein krasses Händchen dafür, klischeehaften Erzählungen die Klischees auszutreiben. Auf "PKS" rappt er zum Beispiel: "Paranoia kickt immer, wenn ich Nase sniff' / Deshalb immer Xans und Schokolade mit" - klar, mit Schokolade ist hier nicht das Snickers gemeint. Aber irgendwie schwingt doch kurz diese Idee auf von einem Ticker, der vom Stoffen paranoid einen Schokoriegel im Treppenhaus runterzwingt, um ein bisschen klarzukommen. Diese Art glanzloser Bilder häufen sich bei ihm. Sie geben das Gefühl, dass es ihm nicht doll darum geht, rüberzukommen wie der Krasseste. Klar, eine gute Dosis Geflexe ist schon dabei, aber diese Einblicke in anstrengende Nachtfahrten bis Halle oder nutzlosen Streitereien mit seinen Freunden machen stereotype Dealer-Tales so lebendig, wie man sie lange nicht gehört hat.
Das fügt sich nahtlos an Theorie zwei an: Denn es war gerade ein ehrlicher Hustle, nicht die großen Vergleichspunkte für diese ganzen Sachen zu nennen. Der Junge hat offensichtlich viel Azzlackz gehört, insbesondere Abdi, Haftbefehl und Hanybal lassen sich superplastisch aus seinem Stil, Slang und Storytelling zu vermischen, heraushören. Produktionsmäßig, wenn auch gebettet in neure Rap-Genres, geht hier auch sehr viel Vintage-Bushido, so wie die stimmungsvollen Samplebeats und Synth-Pads das nokturnale Berlin andeuten.
Kurzum: Lacazette fühlt sich wie ein Deutschrapper an, der sich der Sounds und Storytelling-Techniken annimmt, die spezifisch in der deutschen Rapszene entwickelt worden sind. In einer Zeit, in der unsere Rapmusik von immer wieder neu eingrätschenden Amirap-Inspirations-Wellen quergetreten wurde, dürfte er viele Nostalgiker*innen ansprechen. Dafür muss man nicht mal einer von der Ich-Hasse-Autotune-Fraktion sein, im Gegenteil: Der Straßenrap, den Lacazette kanalisiert, ist Deutschrap am Anfang der 2010er. Da dürfte Einigkeit herrschen, dass es schade darum wäre, wenn der kinderlos in den Geschichtsbüchern verschwinden würde.
Das muss man dann zusammen mit Theorie drei denken: Trotzdem hat Lacazette offensichtlich absolut Ahnung von Amirap. Das mache ich nicht daran fest, dass "LAK", "CUP" oder "BBB" typische 808-Beats kicken. Für mich ist es vor allem die Art, mit der er seine Hooks macht, diese unscheinbar wiederholten acht Bars, die sich relativ monoton in den Song einfügen. Das ist um 2020 ziemlicher Standard in vielen amerikanischen Trap-Tracks geworden und hat in seiner Unterkühltheit durchaus seinen Reiz, vor allem, weil es noch mal erlaubt, einen besonderen Akzent auf einen Flow zu legen, sobald man ihn wiederholt. Es ist auch angenehm un-poppig, indem es den Unterschied zwischen Hook und Verses abmindert. Statt dezidierter Toplines entsteht so ein hypnotischerer, durchgerappter Vibe.
Plus natürlich obendrauf: Lacazette versteht kurze Songs. Viele finden das scheiße, manchmal kann es auch durchaus ein Problem sein. Viele Tracks hier wissen aber ganz genau, was ihr Catch und was ihr schlagendes Herz ist, fokussieren sich genau darum und enden so, dass man mehr möchte. Nicht jedes Album aus den 2000ern hatte einen triftigen Grund, 70 Minuten auf die Waage zu bringen, und ich habe eine Menge dritte Verses gehört, die nicht hätten existieren müssen. Ich habe auch viele Hooks gehört, die einfach nur da waren, weil zwischen Parts eine Hook gehört, also macht man eben eine. Amirap hat sich in den letzten Jahren im Guten wie im Schlechten dazu gezwungen, sich aufs absolut Wesentliche zu reduzieren. Lacazette wendet das auf klassische Deutschrap-Sounds an, die unglaublich davon verjüngt werden, sie einmal in dieser Version zu hören, in der wirklich nicht ein unnötiges Gramm Fett an ihnen klebt.
Das leitet dann wiederum in die letzte Theorie ein: Lacazette fühlt sich erfrischend wenig nach Bullshit an. Deutsche Rapper, die sich selbst ernst nehmen und viel Zeit in ihren eigenen Mythos stecken, sind tickende Zeitbomben. Meist braucht es nicht lange, bis sie mit Kopf im eigenen Arsch stecken oder sich sonst wie zum Horst machen. Lacazette glänzt als Persönlichkeit vor allem durch Abwesenheit. Von den Singles, die alle das selbe, lieblose Cover haben bis zu einer angenehm stillen Social Media-Person: Man sollte es bei der Größe des Hypes kaum glauben, aber alles an ihm setzt den Fokus auf die Musik. Und die Musik überzeugt.
Für mich sind die besten Songs definitiv Tracks wie "HDL". Düster, auf den Punkt, atmosphärisch. Diese Tracks scheinen auch nicht beschäftigt, mein Bild von diesem Typen irgendwie krass beeinflussen zu wollen. Ich soll nicht denken, er wäre wirklich der krasseste Gangster, ich soll nicht denken, dass er Streit mit dem und dem hat. Alles, was er macht, ist sein Leben gut formuliert auf coole Beats zu packen. Natürlich wird da irgendein Promoteam trotzdem Überstunden arbeiten, damit ein Hype die Ausmaße annimmt, die er angenommen hat. Aber trotzdem kommt es mir nicht vor, als wäre Lacazette ein Rapper, der mit Gimmicks oder Blödsinn auf sich aufmerksam macht. Im Gegenteil: Die Musik auf seinem nun fertiggestellten Debütalbum spricht in ihrer Qualität für sich. Das ist alles bombensolide, auf der Höhe der Zeit, geschmackssicher und hungrig. Man ist fast ein wenig gerührt, dass auch mal so etwas das Gespräch dominieren darf.
3 Kommentare mit 5 Antworten
Die Songtitel sind schön zielgruppenkonform auf das Mindestmaß tiktok'scher Aufmerksamkeitsspanne definiert. Wenn man dann mal ein paar Meter abseits der endemischen Schulhofblase wandelt, verliert das dann vermehrt an Reiz, gerade für solch obstinanten Tpen wie mich, die noch einen gewissen Einsatzwillen gegenüber der Musik erwarten.
Ich denke die Meinung der Schulhofblase können wir erst evaluieren wenn Squalle losgesaibelt hat. Aber vmtl ist der nach Konsum der letzten Prezident Platte an Überlangweilung verendet...
D a s oder er sitzt vereint mit seinen spielo-Kidz im siffigen 2017er Arsenal-Trikot in der morgendlichen Turnhallenatmo und sie stellen die LID-Videos gemeinschaftlich nach vor der Traumkulisse aus Reck und Barren und einem schummrigen Geräteraum
Die triste graue 60er Jahre Turnhallen Romantik, Ali hält das Handy, Mesut und Jason stehen vor meinem gebrauchten Renault Twingo und rappen. Wir schaffen es alle raus aus dem Wohlstandsghetto der schwäbischen Kleinstadt.
Der macht es besser als alle jene die glauben, das sie es am besten können und das auch halbwegs brauchbaren Beats. Aber sonst bleibt da nicht viel mehr, der Rest schreit "TikTok-Reels von irgendwelchen Kinderzimmergangstern die lustige posen vor der Kamera machen, unterlegt mit Soundbits vom dem Kollegen hier".
auch = auf
bin nich ganz auf dem hypetrain, aber erkenne die frische an. LID is super.