laut.de-Kritik
Punk-Folk über Trump und die Isolation.
Review von Rinko Heidrich"Oooh, I'm Still Alive" sang einst Pearl Jam-Sänger Eddie Vedder in der Grunge-Hymne "Alive". Ein Lied darüber, wie dysfunktionale Familienverhältnisse die Psyche eines Heranwachsenden verändern, aber auch ein Appell, allen Widrigkeiten zu trotzen.
2020, mitten in der Pandemie, kämpft nicht mehr nur ein amerikanischer Teenager um sein Seelenheil, sondern die ganze Welt wirkte zumindest anfangs wie eine große Schicksalsgemeinschaft. Laura Jane Grace von Against Me! wollte eigentlich mit ihrer Band wieder zurück ins Studio, als der kleine, miese Virus sämtliche Planungen über Bord warf. Um nicht wahnsinnig zu werden, stürzte sie sich in Arbeit, in der Isolation, allein und weit entfernt von ihrer Band.
Ihre Aussage "Ich muss diese Songs veröffentlichen, um am Leben zu bleiben" negiert noch einmal die Einschätzung, dass ihr erstes Album nur als lustiger Zeitvertreib diente. Es ist ihr schlichtweg ihr einziger Job, der ihre Existenz sichert. So nahm sie an nur zwei Tagen mit Produzent Steve Albini, der eh raue und spontane Studio-Sessions bevorzugt, das Album "Stay Alive" auf.
Es geht darin aber vorrangig nicht um eine globale Erbauungs-Ansage, sondern um den kleinen Mikrokosmos, der nun entsteht. So beschreibt der Opener "Swimming Pool Song" eine trostlose und derzeit leere Badeanlage. Analog, nur mit einer Akustik-Gitarre aufgenommen und nur allein mit ihrer Stimme beschreibt sie das Gefühl von innerer Leere "I am haunted swimming pool /I am emptied out and drained". Das alles vorgetragen mit der bekannten Inbrunst, die man schon von Against Me! kennt.
Die letzten Alben gerieten allerdings sehr bombastisch und auch monothematisch. So sehr man Lauras Kampf mit ihrer Transidentität versteht und sie auch als Aktivistin gegen transfeindliche Vollhonks unterstützt, aber das Thema wurde nun ausgiebig auf "Transgender Dysphoria Blues" und "Shape Shift with Me" behandelt.
Ein wenig Abwechslung tut gut. Einfache Symbole wie in "Mountain Song" entfalten schließlich auch ihre Kraft: "It's a cold dark room, and an empty bеd / You're staring out the window / Wondering what thе fuck happened / Sitting at The table / Eat your eggs and drink your coffee in silence." Sicherlich wird aus Grace in diesem Leben kein zweiter Bob Dylan, aber es ist ein starkes Bild, das wohl von Aserbaidschan bis Illinois jeder nachvollziehen im Lockdown verstehen kann.
Überhaupt profitiert "Stay Alive" von seinem DIY-Ethos. So viel Rotz, so viel Punk wie auf "So Long, Farewell Auf Wiedersehen, Fuck You" war bei Against Me schon bei dem Debüt nicht. Die Stimme schön verrauscht über Dinosaur Jr.-Gitarren ist tatsächlich Albini pur. Der Mann, der nichts mehr hasst als cleane Studioproduktionen und schon kommerzielle Alternative Rocker wie Bush auf den Boden zurückholte und das Major-Label von Nirvana mit seinen rohen Aufnahmen zu "In Utero" schockte.
Nicht schockierend, aber doch ziemlich stumpf fallen Texte wie "Got no vision, got no taste for death / You can't trust a man with hair like that" in "Hanging Tree" auf. Es gibt wirklich bessere Angriffsziele auf Donald Trump, als ihn für seine Frisur zu shamen. Nicht subtiler, aber heftiger fällt die Abrechnung mit seinen klerikalen Fans aus. "God is good and God is great / Now get the fuck out of the USA! Christ liked the American way / A burning crucifix and a hanging tree!”. In einem aufgewühlten Land voller Extremisten und mit fragwürdigen Waffengesetzen eine Ansage, die einiges an Mut erfordert.
Courage erfordert es auch, sich ohne Begleitung so schutzlos der Öffentlichkeit und Fan-Base zu präsentieren, die eigentlich kräftigen Punk-Rock bevorzugen. "Stay Alive" präsentiert Laura Jane Grace als eine geerdete und starke Persönlichkeit, die mit ihrem Solo-Material aber "nur" ein solides Album und zu wenig Abwechslung anbietet. Wer aber punkigen Folk wie Billy Bragg liebt, darf auch diesem Solo-Debüt sein Gehör leihen.
Die Fans müssen keinen radikalen Stilwechsel für kommende Alben befürchten, denn wie Laura selber dem Rezensenten androht: "Wenn du, lieber Journalist, dieses Album auch nur einmal als 'Akustik Album' betitelst, wird mein 6-Saiten-spielender Geist dich und die folgenden zehn Generationen deiner Familie heimsuchen und euch jede Nacht von elf Uhr abends bis sechs Uhr früh Lieder ins Ohr singen." Alive or Dead, diese Frau ist noch lange nicht fertig mit uns.
2 Kommentare mit einer Antwort
Hm, naja, Solo-Debut. 2008 kam schon - damals noch als Tom Gabel - die EP "Heart Burns" raus, und 2018 erschien - unter dem Namen L.J. Grace - das Album "Bought to rot".
Davon ab, dass die ersten Against Me! Releases ja eigentlich auch "Solo" waren die Band kam ja erst ab "Reinventing Axl Rose" dazu.
"Die letzten Alben gerieten allerdings sehr bombastisch..." was für Alben zum Teufel hast du gehört? Transgender Dysphoria Blues war super rumpelig und low fi und Shape Shift with Me nur geringfügig ausproduzierter. Manchmal habe ich den Eindruck, das ihr euch nicht wirklich Zeit für eure Rezensionen nehmt...