laut.de-Kritik
Drone- und Ambient-Soundscapes mit Lynch-Abgründen.
Review von Maximilian FritzWollte man Laurel Halo auf einen musikalischen Stil festnageln, wäre das ein schwieriges Unterfangen. In ihren DJ-Sets verarbeitet sie so ziemlich alles, was elektronische Musik zu bieten hat, ihre Alben amalgamieren Free Jazz-Einflüsse, homöopathische Dosen von R'n'B und abstrakte Songstrukturen unter dem Deckmantel der Electronica.
Die daraus resultierende komplexe Mischung aus Gesang, Samples und einer omnipräsenten Ablehnung von Konventionen beschwor immer wieder etwas plumpe Vergleiche mit Nicolas Jaar herauf. Spätestens im Falle der halbstündigen Mini-LP "Raw Silk Uncut Wood" erweisen sich diese aber als unhaltbar.
Die Ästhetik der sechs Tracks erklärt sich aus Halos letzter Tätigkeit als Soundtrack-Schreiberin: Im Januar steuerte sie bereits den Score zum technologiekritischen Film-Essay "Possessed" bei. Statt Lyrics, unbeständigen Beats und vereinzelten Pop-Elementen dominiert ein Klanggemisch, das sich am treffendsten unter Ambient kategorisieren lässt.
Als zweite zentrale Inspirationsquelle und Namenspatron fungiert der altchinesische Spruchband Daodejing, in dem es in der englischen Übersetzung heißt: "What works reliably is to know the raw silk, hold the uncut wood. Need little. Want less. Forget the rules. Be untroubled."
"Untroubled" gibt dann auch gleich die Marschrichtung für den Opener vor: Über zehn Minuten übt sich dieser in meditativer Abstraktion und sorgt mit seinen langgezogenen Orgeltönen für einen ruhigen, bekömmlichen Einstieg ganz im Sinne Eluviums. "Mercury" verfolgt eine ähnliche Strategie, tauscht die Orgel aber gegen ein Klavier und gelegentliche, arrhythmische Percussions. "Quietude" und "The Sick Mind" bieten anschließend weitaus entrücktere Hörerfahrungen. Hektisch, impulsiv und unnachvollziehbar wie auf Kleinkunstbühnen geht es zu Sache. Taucht man anfangs noch in eine heile Filmwelt ein, kippt die Stimmung auf abstrakte Weise im Sinne David Lynchs.
"Supine" gestaltet einen dronigen, prägnanten Übergang zum zehnminütigen Closer "Nahbarkeit", der mit seinen versöhnlichen, ausufernden Streicherflächen an die optimistischeren Stücke Wolfgang Voigts unter seinem GAS-Alias erinnert und ein grandioses Finale darstellt.
Laurel Halo legt mit "Raw Silk Uncut Wood" eine gelungene Experimental-LP vor, die auch über die knapp bemessene Spiellänge von 30 Minuten eine Bandbreite an Stimmungen abdeckt. Dass ein Ambient-Album, das ein Soundtrack-Konzept ohne zugehörigen Film verfolgt, wohl keine breite Käuferschaft finden wird, dürfte der Wahlberlinerin angesichts ihrer Selbstverwirklichung herzlich egal sein.
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