laut.de-Kritik
Ein in Richtung Hörgewohnheiten ausgestreckter Mittelfinger.
Review von Sven KabelitzWir sollten uns wirklich schämen. Teri Gender Benders Zusammenarbeit mit Omar Rodríguez-López bei Bosnian Rainbows und Crystal Fairy waren uns jeweils eine Kritik wert, aber über ihre Hauptband haben wir bisher kein Wort verloren. Selbst ihr grandioses "Sin Sin Sin" oder Features von den hier hochverehrten Iggy Pop und John Frusciante auf "A Raw Youth" haben uns nicht gereicht, die Garage Punk-Band ins Programm zu nehmen. Schäm dich, laut.de. Es wird Zeit, diesen Makel endlich zu beseitigen. Willkommen, Le Butcherettes. Willkommen, "bi/Mental".
Wäre natürlich blöd, ausgerechnet jetzt das erste schlechte Album der Bandgeschichte zu veröffentlichen, aber netterweise stellt sich der vierte Longplayer als genauso hörenswert heraus wie die zuvor veröffentlichten. Dies stellt gleich der brillante Opener "spider/WAVES" klar. Ein energisches Stück voller lärmenden Riffs und mal ruhigeren mal funkenden Parts. Die perfekte Bühne für Teri, die hier gleich die Bandbreite ihrer eindringlichen Stimme zeigt. Mal rau und kraftvoll, mal überdreht, verhext, wie Siouxsie Sioux auf Speed springt sie von einem Versatzstück des Songs zum nächsten. Sie ist das Energiezentrum, aus dem Le Butcherettes zehren. Um das alles abzurunden, kommt Dead Kennedys-Sänger Jello Biafra noch für eine Spoken Word-Passage vorbei. Wer das Album nach diesem Lied nicht bereits liebt, kann es eigentlich gleich ausmachen und sich spannenden Dingen wie etwa den Benjamini abstauben widmen.
"Das hier ist kein Spaß, das ist etwas persönliches. Das tragen wir zwei untereinander aus", scheint Gender Bender in Richtung des Longplayers zu schreien. Sie stellt sich in Kampfpose auf, singt direkt aus der immer noch offenen Wunde, die ihr ihre unter physischen Erkrankungen leidende Familie zufügten. Der Thematik der Erzählungen fährt die Geschwindigkeit der Songs im Laufe der dreizehn Stücke zurück, nicht aber ihre Dringlichkeit. Das von Melancholie und Trauer getragenen "in/THE END" könnte mit mehr Zuckerwatte ebenso von Pink stammen. Ein kleiner, zwischen verdreckten Gitarren und fragilen Synthesizern versteckter Chart-Hit. Klingt im Bezug auf Le Butcherettes im ersten Moment komisch, funktioniert aber. Es ist eine andere Spielart der Intensität, die der Band hier gelingt.
Das von Jerry Harrison (Talking Heads) etwas zu sauber produzierte "bi/Mental" spielt weiter fleißig mit dem Bandsound und versucht sich an den unterschiedlichsten Einflüssen. "strong/ENOUGH" fügt einiges an Elektronik hinzu, während Teri tief aus dem Inneren ihrer Seele berichtet: "I'm walking over miles of pain / All that separates is the dream to be free / The way you mistreat me ceases to break my spirit in two." Stillstand geht anders.
Dies bedeutet aber nicht, dass der eigentliche Le Butcherettes-Esprit zu kurz kommt. In "mother/HOLDS" dreht Gender Bender an der Seite der L.A.-Punk-Ikone, Schriftstellerin und Aktivistin Alice Bag hohl. Sie schreien, keuchen, brüllen, kreischen. "So give me milk / Without any panic attacks." Unter den Bläsern von "father/ELOHIM" steckt nichts anderes als euphorischer Garage Punk, der mit "Your name is father, my name is Elohim" beginnt und im sich wiederholendem "And still they wanna fuck with us some more" gipfelt. Täuscht "/BREATH" mit seinen Plattengeknister und Soundschnipseln zuerst einen typischen akustischen Album-Abschluss an, stellt sich der Track im weiteren Verlauf als ein in Richtung Hörgewohnheiten ausgestreckter Mittelfinger heraus. Abrupt kippt die Stimmung zum Punk-Rock, steigert sich mitreißend, bis das Stück und mit ihm "bi/MENTAL" mitten im Satz
3 Kommentare
Ich bin gespannt. „Sin Sin Sin“ ist für mich die Meßlatte.
Ging bisher trotz Bosnian Rainbows auch an mir völlig vorbei, wobei ich von denen aber auch nie was physisches da hatte. Nach dreistückiger YT-Aufklärung bin ich jedoch ordentlich angefixt.
@jenzo
Hättest du ruhig mal ähnlich aggressiv bewerben können wie damals Emma Ruth Rundle! Werde aufgrund deines Tipps trotz Neuveröffentlichung zuerst das Debut bestellen, denke ich.
Ich will anerkennen, daß da handwerklich alles erstklassig performt und produziert wurde. Bis auf den sehr coolen Einstiegstrack plätschert aber alles etwas lust- und ideenlos vor sich hin.