laut.de-Kritik

Wenn Paris und London sich mal einig sind, lohnt das Hinhören.

Review von

"Faisant bouilloner le bleu, Qui battait dans nous arteres" singt Lescop vollmundig in "Ljubljana": Wir brachten das Blau zum Kochen, das durch unsere Adern strömt. Keine Übertreibung; denn genau so klingt das Debüt des Franzosen über weite Strecken. Postpunk im Montmartre-Stil. Joy Division meets French Pop Noire. In Frankreich und England ist die Platte bereits im letzten Jahr höchst erfolgreich gelaufen. Und wenn Paris und London sich ausnahmsweise mal einig sind, lohnt das Hinhören meist. Hier auch! Mit Lescop bekommt der späte Sommer jenen Esprit, der ihm bislang noch fehlte. Eine rundherum gelungene Platte.

Mal klingen die Gitarren sacht nach The Smiths, dann wieder erinnern sie ein wenig an Cure. Stringente Drums/Beats und dazu ein Sänger, der mit weicher Stimme und stechendem Blick seine teilweise recht hard boiled gestrickten Geschichten aufbietet.

In diesen endzeitlichen Tagen überleben nur die Nächte. Vom Überleben in eben diesen handelt so gut wie jeder Song. Mal findet das rhythmische Geschehen in Tokio statt, dann als amerikanische Nachtkulisse und oft in Paris. Die Lieder locken mit Macht. Doch die Umgebung bleibt lebensfeindlich. Gleich im Opener "La Forêt" wird der Erzähler im Wald umgelegt. In einprägsamen Refrains und straffen Strophen gibt Lescop den Chronisten des immerwährenden Kampfes von Liebe und Romantik gegen das Grauen. Zwar warm gesungen, dabei stets ein wenig distanziert im Vortrag. Mehr Lautrec-ähnlicher Beobachter als emotional Beteiligter.

Text und Musik bilden eine unverkrampfte Symbiose. Besonders anschaulich im lasziven "Le Mal Mon Age", einem angenehm an erotische Serge Gainsbourg-Lieder erinnernden Duett mit der famosen Dorothee de Koon. Sehr schön, wie sich in die knisternde Spannung beider Stimmen die resigniert melancholische Erkenntnis mischt "Du verkörperst das Böse mein Engel. Seltsam, dass das Böse so schön ist." Gänsehaut!

Lescops rhythmisches Uhrwerk samt schwelgender Harmonien macht nahezu jeden Track zum Spektakel. Die Qualitätsdichte ist erstaunlich. So gut wie jeder Song gäbe eine Single her. "La Nuit Américaine" glänzt mit toll arrangierter Strophe und Ohrwurm-Chorus. Das straighte und eine Spur rauere "Un Rêve" verrät, wie der Sound des gebürtigen Mathieu Peudupin live klingt. Speziell für den deutschen Markt legt er sein "Marlène" bei, eine Hommage an den blauen Engel, die Dietrich.

"Paris S'endort" ist die seit Jahrzehnten überfällige Fortsetzung von Jacques Dutroncs leicht spöttischer Liebeserklärung "Paris S'éveille", der zu Recht ewigen und heiligen französischen Pop-Kuh. Sarkastischer schickt Lescop sein nie wirklich entschlafendes Paris auf einen musikalischen Kokstrip. Hektisch und aufgekratzt pulsieren die Instrumente nach vorn. Um dem Track den drohenden Herzinfarkt zu ersparen, kontrastiert Lescop die nervösen Klänge mit einem poetischen, schlaftrukenen Stilleben-Text. Paris "weint Waterloo Tränen. Eine Zigarette brennt nieder. Zwischen Stépahnies Fingern."

Der hochwertige Erstling von Lescop erweist sich damit als echter Glücksfall, die Verbindung von eingängigem Pop mit striktem Wave und ebenso poetischen wie heftigen Texten macht seine komplett eigenständige Musik zu einer Art popkulturellem Abkömmling der großen Mylene Farmer. Schon jetzt freue ich mich auf die nächste Veröffentlichung.

Trackliste

  1. 1. La Forêt
  2. 2. La Noit Américaine
  3. 3. Ljubljana
  4. 4. Los Angeles
  5. 5. Le Mal Mon Ange - Lescop / De Koon, Dorothée
  6. 6. Tokyo, La Nuit
  7. 7. Hypnose
  8. 8. Un Rêve
  9. 9. Slow Disco
  10. 10. Paris S'endort
  11. 11. Le Vent
  12. 12. Marlène

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