laut.de-Kritik
Der Ernst des Lebens kann warten.
Review von Holger GrevenbrockDas Leben nicht so ernst nehmen und einfach mal laufen lassen. Der Urformel des Punk verschreiben sich auch die drei Jungs von Liedfett und feiern die Ziellosigkeit eines Tages ohne Pflichten. "Ich borg' mir Zeit bei der Unendlichkeit/ Dann ersetzt mich halt, Pflicht befreit". Easy Going.
Dabei verfolgen sie einen minimalistischen Ansatz, der ganz ins Bild des mit wenig auskommenden Lebenskünstlers passt. Ein Schlagzeug, eine Akustik-Gitarre und die Stimme Daniels. Der gelegentliche Einsatz eines Tambourins komplettiert die schmale Instrumentierung.
Im Mittelpunkt der vierzehn Tracks stehen nicht ausgefeilte Songstrukturen, vielmehr ist Einfachheit das Grundprinzip der Arrangements, die sich wunderbar mit den durchdachten Lyrics ergänzen. Ergebnis ist ein leichtfüßiges Album, das für einen Moment aus der bleiernen Langeweile des Alltags entführt.
Die Uptempo-Nummer "Montagmorgen" gibt den Weg vor. Draußen regnet es, es ist der Anfang einer harten Arbeitswoche und die Laune liegt im Keller. Viel lieber würde man doch den Tag mit ihm/ihr verbringen, im Bett liegen und dem Regen lauschen. Warum auch nicht? Die nächsten Tracks räumen auf mit der bürgerlichen Bequemlichkeit und zeigen sich kompromisslos lebensfroh.
In "Billiger Wein" frönen Liedfett erneut dem Prinzip 'weniger ist mehr' und verbreiten eine Menge guter Laune und Neue Deutsche Welle-Flair. Dabei halten sie auch nicht mit gut gemeinten Überlebenstipps hinterm Berg: "Sparen Sie das Geld / Guter Wein muss nicht teuer sein." Der chronisch am Existenzminimum lebende Student in mir weiß das zu gut.
Stoisch der Zukunftsmusik der nächsten Stunde lauschend, verteilen Liedfett in "Spass Spendet Trost" lauter kleine Weisheiten, die diesen Lebensstil für eine kurze Weile aufrecht halten: "Sparen können wir später / legt die Köpfe in den Wind / lass uns sehen, ob wir noch am Leben sind /Wir werden wohl nie Rentner / ach was werden wir bloß? / Spass spendet Trost."
Ginge es so weiter, man könnte das Album getrost laufenlassen, doch Tracks wie "Pleitegeier" oder "Sowie Du Bist" zwingen mich zum Skippen. Das balladeske "Pleitegeier" erzählt von einem von Selbstzweifeln geplagten Protagonisten, dessen Seelenstriptease eher zum Fremdschämen denn zum Mitfühlen einlädt. "Sowie Du Bist" gibt schon im Titel alles preis und überrascht auch nach dem hundertsten Aufguss der 'sei wie du selbst'-Thematik nicht mehr, wirkt stattdessen doch recht trivial.
Schnell besinnen sich Liedfett wieder eines besseren und gehen mit dem "Schmierlappenkommando" auf die Straßen, um weitere Mitstreiter für ihre Sache zu rekrutieren. Tracks wie diese erinnern an die jungen Hosen zu gloriosen Bommerlunder-Zeiten.
Doch das die drei Hanseaten auch die leiseren Töne beherrschen, beweisen sie in "Scheitern". Vor allem die Lyrics und der einfühlsame Vortrag von Sänger Daniel überzeugen. Im Kampf gegen die Windmühlen gehört das Scheitern eben zur gepflegten Haltung. Die verlotterten Junker von Liedfett im Kampf gegen das Establishment.
Vor dem Begleichen der Zeche rufen Liedfett in "Alkoholika" ein letztes Mal zum Widerstand gegen gesellschaftliche Konventionen aus. Festgepappte Hintern erheben sich von ihren Hockern, während deren Besitzer in seliger Bierlaune in gemeinschaftliches Gegröhle einsteigen:
"Wir sind alles Alkoholika, Alkoholika", Hicks und Prost!
Nach nicht einmal 1 ½ Minuten verläuft der leidenschaftliche Vortrag bereits wieder im Sande und die angestammten Positionen am Tresen werden wieder eingenommen. Auf den Rausch folgt die Ernüchterung in Form von "Hängengeblieben". Die letzten Tropfen Bier sind getrunken oder bilden auf dem verklebten Parkett eine Pfütze. Die in "Alkoholika" noch scherzhaft ausgegebene Devise
"Einsicht ist der erste Weg zur Besserung" entpuppt sich spätestens mit den ersten Sonnenstrahlen zur schmerzhaften Wahrheit. Jeder durchzechten Nacht folgt der Tag, an dem das Leben dir einen Tritt in den Allerwertesten versetzt.
"Wir können uns sehn / und du mich verstehn / Ich bin Spielverderber / Die Nacht war schön / doch Nächte vergehen / und ich spiel nicht mehr". Früher oder später wird wohl jeder auf die eine oder andere Weise erwachsen. Bei jener die Liedfett vorziehen, steht der Spaß vorne an.
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