laut.de-Kritik
Dominante Synthies verdrängen Gitarre und Klavier.
Review von Olaf SchmidtEs hat sich einiges getan im Hause Lightning Dust. Während Black Mountain weiterhin kein Lebenszeichen von sich geben, wollten Amber Webber und Joshua Wells nicht länger untätig zu Hause herumsitzen und ließen kurzerhand ihr Seitenprojekt wieder aufleben. In Erwartung eines weiteren schönen Indiepop-Albums mit Folkeinschlag legt der Hörer nun den Neuling "Fantasy" in den Player - und sollte sich auf harsche Veränderungen gefasst machen.
Die ersten Gedanken könnten sein: Auch du, Brutus? Auch du, verloren wie ein akustisches Schaf in der elektronischen Heide, von der Gitarrenmusik-Herde verstoßen? Lightning Dust haben auf dem Vorgängeralbum "Infinite Light" auch schon vereinzelt mit Elementen dieser Richtung herumgespielt. Es überrascht trotzdem, mit welcher Vehemenz sie jetzt ihren Stil radikal verändert haben.
Wenn man die ersten beiden Alben der Kanadier mochte, könnte es beim Lauschen von "Fantasy" jedenfalls zu ernsthaften Schockzuständen kommen. Das Wechselspiel aus Klavier und anderen Tasteninstrumenten auf der einen und Gitarre auf der anderen Seite ist einem dominanten und hauptsächlichen Einsatz von Synthesizer-Klangflächen gewichen. Webber und Wells präsentieren ein Potpourri des Schlimmsten, was die 80er Jahre an Sounds hergeben. Warum dieses Jahrzehnt wieder Salonfähigkeit erlangt hat, weiß nur der Teufel allein.
Und dann geschieht etwas Merkwürdiges. Den Verriss im Kopf schon mehr oder weniger fertig, gönnt man "Fantasy" einen letzten Durchgang, um nicht unfair zu urteilen. Und dann - noch einen. Und noch einen. Und stellt fest: die seltsame Atmosphäre des Albums, sein minimalistischer Stil lässt dich nicht mehr los. Es sollte draußen allerdings tunlichst Dunkelheit herrschen. Auf der Platte befinden sich nicht umsonst Songs mit Titeln wie "In The City Tonight".
Hat sich das Album erst mal offenbart, findet sich die wunderschöne Ballade "Agatha" mit E-Piano-Einsatz und Cello-Gestreiche. Oder die drängende Nummer "Fire Me Up" bezirzt den Hörer mit einem blubbernden Basslauf, ähnlich Michael Sembellos 80er-Kracher "Maniac". Sie wissen schon, der aus dem "Flashdance"-Soundtrack. Ob Lightning Dust bald ein Video mit Tanzeinlagen und knallharter Stahlwerk-Schweißer-Action drehen? Vermutlich nicht. Auch zu den treibenden Nummern zählt "Loaded Gun", der einzige Song mit einem harten Beat.
Es gibt immer noch Stellen auf dem Album, die übel aufstoßen können, beispielsweise der schlimme Mittelteil von "Never Again". Dort windet sich das Ohr vor Schmerzen, wird es doch mit einer kitschigen Melodie und dem fiesesten Keyboard-Sound westlich von Giorgio-Moroder-Hausen konfrontiert. Ebenfalls etwas schade: Das schöne, an Grace Slick (Jefferson Airplane) erinnernde Vibrato in der Stimme von Amber Webber gehört leider der Vergangenheit an, sie hat zu einer neuen Art zu singen gefunden.
Tipp zum Schluss: Unbedingt mal das merkwürdige Video zu "Diamond" anschauen.
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