laut.de-Kritik
Was haben denn deutsche Soul-Mäuschen mit Country zu tun?
Review von Sven KabelitzErfolg ist planbar. Lionel Richie, der Mann, der in den 80ern im Alleingang die ersten drei Kuschelrock-Sampler hätte füllen können, kleidet seine größten Hits auf "Tuskegee" (benannt nach seiner Heimatstadt) in ein neues Gewand. R'n'B-Star Richie spielt jetzt beides - Country und Western. Um dabei nicht allein auf weiter Flur zu stehen, halten ihm ein paar der größten Stars der Country-Szene Händchen.
Dass diese Kombination in Amerika einschlägt und in der dritten Woche Madonna vom Thron stürzt - wer hätte es erwartet? Nashville liebt es, wenn ein Pop-Star durch seine Rodeo-Arena reitet. Yiiieeeha!
Um ja nichts falsch zu machen, liegt das Hauptaugenmerk auf Richies großen Hits vor 1987. Das Spätwerk findet nur mit "Just For You" und dem Bonus-Track "Angel" statt. Damit dieser berechnende Mix auch in Deutschland, Land der Volksmusik und der Ärzte, ankommt, werden kurzerhand noch Stefanie Heinzmann ("Dancing On The Ceeling") und Cassandra Steen ("Angel") in die Songs geklatscht.
Was unsere beiden Soul-Mäuschen aber mit Country zu tun haben, niemand weiß es. Truck Stop und Gunter Gabriel waren wohl gerade ausgebucht. Bei Richies Auftritt bei Carmen Nebel springt nun, um das Ganze komplett auf den Kopf zu stellen, Andrea Berg in die Rolle von Steen.
Eine ausgeprägte Affinität zum glasklaren Nashville-Sound muss nicht unbedingt vorhanden sein, um Gefallen an "Tuskegee" zu finden. Mit dem Outlaw-Liebreiz von Helden wie Johnny Cash, Kris Kristofferson oder Willie Nelson sollte dagegen nicht gerechnet werden, auch wen letztgenannter mit an Bord ist.
Doch den alten Soul-Schmachtfetzen steht ein ordentlicher Frühjahrsputz gut zu Gesicht. Raus mit den alten 1980er Keyboards und Plastikbombast, her mit Steel-Gitarre, Banjo und Fidel. Entschlackt und entspannt trällert uns Lionel vom Schaukelstuhl seiner Veranda die altbekannten Melodien entgegen.
Dass bereits in den Originalaufnahmen viel Country steckt, zeigen der Commodores-Klassiker "Sail On" und "Deep River Woman", das in der Zusammenarbeit mit Little Big Town durch berauschende Gesangsharmonien aufblüht. Die Frage, ob Homer J. Simpson lieber zu der neu eingespielten Fassung von "Say You, Say Me", oder seinem persönlichem "Beer You, Beer Me" greifen würde, stellt sich eigentlich nicht. Trotzdem ist die sehr amerikanisch gestaltete Alternative mit Rasmus Seebach, wenn man vom Schweine-Rock-Anfall in der Bridge absieht, sehr gelungen.
Während der knapp fünf Minuten von "Hello" muss einem Angst und Bange um Lionel Richie werden. Nicht nur, das Jennifer Nettles scheinbar ein ganz anderes Lied singt. Bei der Vollweibkraft in ihrer Stimme kann man nur hoffen, dass er sich beim Einsingen nie mit ihr zusammen in einem Studio befand. Ansonsten hätte sie ihn wahrscheinlich nach den ersten zwei Zeilen versehentlich aufgefressen oder verschluckt.
Shania Twain ist zwar nicht Diana Ross, das macht aber im neuen Umfeld von "Endless Love" nichts aus, passt sogar besser. Gemeinsam schippern Richie und Twain im neuen Raddampfer-Arragement wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn den Mississippi River hinunter.
In "Lady" kommen Komponist Richie und Interpret Kenny Rogers schlussendlich zusammen, reichen sich Soul und Country in ihren Stimmen hin und her. Zwar gerät "Easy" auf "Tuskegee" arg schlafmützig, doch spätestens wenn Willie Nelson "I Want To Get High, So High" singt, erliegt man dem besonderem Charme des Duets. Ein Totalausfall stellt "All Night Long" in einer Art Karibik-Interpretation mit "Cheeseburger in Paradise"-Sänger Jimmy Buffet dar. Schnell vergessen.
Das Highlight der amerikanischen Auflage findet sich in "Dancing On The Ceeling" mit den Rascall Flatts, mit einem Banjo-Hurrikan unterlegt und einem Fidel-Solo gekrönt. Doch für den deutschen Markt wurde das Stück komplett versaut. Man mag von Stefanie Heinzmann halten, was man mag, aber die Art und Weise wie sie hier vollkommen fehlplatziert über den Song vokalknödelt, ihm das Herz herausschreit und ihm danach noch mit den Worten "Aber wir können ja Freunde bleiben" den Rest gibt, bringt mich zur Weißglut.
Dieses vollkommen misslungene Einschleimen beim deutschen Markt ist ein absolutes Ärgernis und gehört abgestraft. Dem Käufer ist nur zu raten, nach der amerikanischen Ausgabe Ausschau zu halten, die hier stolz erhobenen Hauptes mit einer besseren Bewertung aus der Arena gegangen wäre.
1 Kommentar
Cassandra Steen als SOUL-Mäuschen zu bezeichnen ist aber schon leicht daneben oder? ô_O