laut.de-Kritik
Hits money can buy.
Review von Yannik GölzDie Blackpink-Mitglieder kriegen immer wieder diesen Vorwurf ab, sie wären eigentlich nur Influencerinnen, die es zufällig in eine Musikkarriere verschlagen hat. Wer das denkt, der hat die magischen Momente in ihrer Diskographie nicht mitbekommen. Die können schon. Es ist ein sehr eigenwilliges Genre und eine sehr eigenwillige Auffassung von Hip Hop, die Artists wie Lisa verkörpern. Aber man kann schlecht leugnen, dass sie wahnsinnig viel Ausstrahlung und Persönlichkeit in einen Part bringen.
Lisa insbesondere hatte nie Schwierigkeit damit, die Aufmerksamkeit ihrer Hörerinnen und Hörer zu gewinnen. Aber auch in Anbetracht dessen, dass ich sie für grundsätzlich talentiert und interessant halte, gibt es doch Hürden für eine erfolgreiche Solo-Karriere. Ihr erstes richtiges Album "Alter Ego" zeigt, dass diese für sie vor allem im Sound liegen. Trotz ein paar starker Einzeltracks erwächst kein nächster Schritt, keine Ära; das Album zeichnet keine kohärente Persönlichkeit.
"Alter Ego" hat ohne Zweifel Hits. Dieses Album hat all die Hits money can buy. Schon die große Mega-Single "Born Again" mit Doja Cat und Raye klingt gigantisch und classy. Eine wilde Kombo, ein megalomanischer Synth-Groove, so groß, dass es fast die Lockerheit des Basses gefressen hätte. Die Nummer kam aber quasi abgepackt von Raye, eine entsprechende Demo ohne Lisa flog schon eine Weile herum.
"New Woman" mit Rosalía hat schon diesen High Fashion-Glamour, den man nicht leugnen kann - und der Kontrast der beiden Protagonistinnen macht Spaß. "Rockstar" klingt ein wenig, als hätte man den Lisa-Rappart aus einem Track wie "Ddu-Du Ddu-Du" ausgeschnitten und auf zwei Minuten gestreckt. Klingt wie ein Diss, macht aber durchaus Spaß, auch wenn sie den eigentlich sehr starken EDM-Drop der Video-Version fürs Album noch einmal gekickt haben. Weitere Features mit Future auf einem deftigen ATL Jacob-Beat oder mit Afrobeat-Star Tyla funktionieren ebenfalls.
Das Ding ist nur: Ja, natürlich klingen viele Songs cool, wenn man alles Budget und alle Connections hat, die die weltweite Musikindustrie hergibt. Trotzdem fühlt sich "Alter Ego" zumindest in Sachen Konzept ein bisschen wie ein Letdown an. Nicht nur, weil Lisa bei einigen der herausragendsten Momente nur im Beifahrersitz sitzt, sondern auch, weil das Album einfach keine richtige These findet, was jetzt der Sound dieser Frau sein möchte.
Ja, dafür haben wir ja das titelgebende Konzept der anderen Persönlichkeiten. Aber seien wir ehrlich, dieses Album zimmert Lisa nicht mehrere Charaktere, es zimmert ihr kaum einen einzigen. Selbst das knappe Dutzend Tracks verheddert sich schon in Wiederholung der selben, platten Bilder. Sie ist ein Baddie, sie ist reich, sie macht, was sie will.
In der ulkigen Spannung, dass sie offensichtlich künstlerisch ernstgenommen werden möchte, aber trotzdem den Appeal an die sehr jungen Fans nicht ganz aufgibt, geht sie nie so richtig ins Detail damit, was es eigentlich bedeutet, ein Baddie zu sein. Auch ihr kolossales Geflexe hat keinen Pathos, wenn man bedenkt, dass sie reich aufgewachsen ist und dann in der erfolgreichsten Girlgroup der Welt gearbeitet hat. Wenn sie zwischendurch auf die Höhen und Tiefen des Lebens anspielt, kann man sich ehrlich nicht vorstellen, wo ihr Leben jemals Tiefen gehabt haben soll.
Sie verwechselt diese Art von Charaktertiefe dann mit eher gimmickigen Tracks, die ein bisschen klingen, als wären sie die Musical-Variante eines Pixar-Films. "Elastigirl" mit seinem superquirky Beat ist vermutlich einer der albernsten Takes auf die Aussage, man wäre vielseitig, so wörtlich es das nimmt. Der Bounce macht ja auch durchaus Spaß. Aber sieht man es dann im Kontext zu Tracks wie "Rapunzel", auf denen Megan Thee Stallion so zahnlos rappt wie zuletzt auf dem Encanto-Soundtrack, dann bleibt doch ein irgendwie kindisches Gefühl zurück. Das sind keine Features, die man einer anderen, ebenbürtigen Rapperin geben würde. Das sind die Features, die das Label an ein großes Franchies verkauft.
"Alter Ego" portraitiert Lisa als einen sehr zweidimensionalen Charakter. Das ganze Gimmick mit den verschiedenen Charakteren kommt an keiner Stelle wirklich zum Leben. Entweder traut sie sich nicht, oder ist sie nicht in der Lage, von ihrem klassischen Phrasentopf abzurücken.
Über lange Strecken klingt sie doch einfach wie eine Girlboss-Phrasen dreschende Barbie-Puppe. Und das wäre kein Ding, K-Pop brilliert ja oft darin, wenn es einfach nur Stil über Substanz und reine Form über Inhalt stellt. In diesem Sinne würde ich sagen, dass "Alter Ego" schon allein deswegen nicht ganz scheitert, weil es wirklich taugliche Singles mitbringt. Trotzdem hätte der Anspruch bei einer so populären und eigentlich interessanten Figur wie Lisa es doch sein müssen, ihr einen neuen Karriere-Weg zu eröffnen. Und das wäre nur möglich gewesen, wenn ihre Persona und ihre Kunstfigur sich zumindest ein wenig entwickelt hätten.
1 Kommentar
Stimme mehr oder weniger zu. Ich hab von Lisa ehrlicherweise auch nicht zu viel erwartet. Dafür hat aber Jennie heute auch ihr Album rausgebracht und es ist musikalisch doch viel spannender. @Yannik hoffe auf eine Review, ich nehme an es wird eine 3, wenn das eine 2 ist.