laut.de-Kritik

Manchmal macht Liebe eben wirklich ein wenig blind.

Review von

Es fühlt sich ein bisschen seltsam an, auf einem Album aus dem Boygenius-Kosmos so unnachgiebig mit positiven Emotionen konfrontiert zu werden wie auf "Forever Is A Feeling", Lucy Dacus' erstem Solo-Album nach dem Grammy-Sweep ihrer mittlerweile weltbekannten Girlgroup. Keines der Mitglieder verschloss sich diesen Emotionen vollends, aber dennoch führte der Weg dahin bislang kaum an der Tempo-Packung vorbei. Aber Lucy ist Hals über Kopf verliebt, und in dem Fall darf der Ballast für ein Album auch gerne einmal im Schrank bleiben.

Hinzu kommt, dass Dacus nicht nur einen gesichtslosen Love Interest besingt, sondern die Gefühle zu ihrer Bandkollegin Julien Baker, deren gemeinsame Beziehung sie kurz vor dem Album-Release in einem Interview publik machte. Das Ding ist nur: So gern man sich auch auf dem Papier für diese kleine, queere Star-Romanze begeistern möchte, so schwer fällt es, zur dazugehörigen Musik eine emotionale Bindung aufzubauen, die auch nur annähernd so tief reicht, wie die zu Dacus' früheren Projekten.

Das soll nicht heißen, dass ihre Kunst Trauma oder Tragik braucht, um wirklich einen Eindruck zu hinterlassen. Nur wie sie von und über Liebe singt, fühlt sich an, als hätte man sämtliche Sättigung aus ihrer Musik gesaugt. Viele der Titel schnarchen auf denselben einschläfernden Melodien daher, ohne auch nur den Hauch eines Risikos einzugehen. Bot ihre bisherige Musik meist genug Variation, um auf die lyrischen Schläge in die Magengrube musikalische Nierenhaken folgen zu lassen, pendelt sich hier nahezu das gesamte Klangbild in der Kategorie 'nett' ein. Der Country-Twang auf "Most Wanted Man", ein wenig E-Gitarre auf "Talk" und eine klitzekleine Rock-Explosion als Grande Finale des Closers stellen die einzigen Versuche dar, ein wenig Leben in die Bude zu bringen.

Wäre man fies, könnte man diesbezüglich Parallelen zu Taylor Swifts "Poets Department" ziehen. Sicherlich fällt das Songwriting hier über weite Strecken nicht ganz so flach aus, aber im Kern fühlt sich "Forever Is A Feeling" auf ähnliche Art und Weise wie Begleitmusik für das Studieren der Karte in einem Neuköllner Coffeeshop an: Leise, süß und unauffällig. Fast schon symptomatisch erscheint diesbezüglich auch eine Kollaboration mit Hozier auf "Bullseye", die so ereignislos vorbeizieht und sich so wenig essentiell für diese LP anfühlt, dass man sich fragen muss, ob sie vielleicht aus einem der Boardroom-Meetings resultiert, bei dem sich alte Männer fragen, worauf die Kids heutzutage stehen, die Dacus auf "Come Out" besingt.

Dabei macht der Grundgedanke, diese Art der nüchternen, hintergründigen Instrumentierung zu wählen, um die Texte noch weiter in den Vordergrund zu rücken, durchaus Sinn. Man will ja schließlich, dass die Welt auch hört, wie dolle man denn gerade verknallt ist, und Dacus bringt das bisweilen auch wirklich zuckersüß zur Geltung. Ich meine, bei Liebesbekentnissen wie "If the Devil's in the details / Then god is in the gap of your teeth / You are doing the lords work / everytime you smile at me" darf man ruhig mal dahinschmelzen.

Texten kann diese Frau immer noch grandios. Die Szenarien zwischen nervösen Berührungen unter teuren Restaurant-Tischdecken, gemeinsamen Kreuzworträtseln zum Frühstück und Händen voller Popcorn, um den Schmetterlinge im Bauch ihr Maul zu stopfen, während die bekifften Freunde GTA zocken, malt sie mit gewohnt wunderschönen Pinselstrichen. Auch wenn Nervosität über die Standhaftigkeit der Beziehung stets subtil mitschwingt, bleibt Dacus eine hoffnungslose Romantikerin, die oft ein geradezu unschuldiges Bild der Liebe zeichnet. Selbst wenn sie auf "Ankles" über Sex singt, klingt sie dabei, als wäre sie einem Renaissance-Gemälde entsprungen, und das ist nicht zwingend negativ gemeint. "You are my pack a day, you are my favorite place": So sehr Dacus den Kitsch mit dem Cover und einzelnen lyrischen Spitzen untermauern möchte, er tut dem Album an manchen Stellen sogar regelrecht gut.

Das Problem liegt jedoch darin, dass die Intensität dieser Gefühle inmitten dieses monotonen Klangbildes oftmals abhanden kommt. Dacus singt zum Beispiel auf "Big Deal" von dem Gefühl, buchstäblich zu explodieren, hätte sie ihre Gefühle noch länger für sich behalten müssen, aber die begleitenden Gitarren vermitteln uns eher das Gefühl, als würde sie dagegen ankämpfen, nicht wegzunicken. "Do I make you nervous or bored", fragt sie auf "Talk" und die Antwort fällt nicht immer leicht. So laut und evokativ die Texte daherkommen, so kleinlaut klimpern die Melodien vor sich hin.

Das funktioniert in Momenten wie unter anderem auch auf "Big Deal" durchaus, ermüdet über die Dauer der LP jedoch ungemein. Nichts klingt hier wirklich schlecht, aber vieles zu unaufgeregt, um davon berührt zu werden. Es fällt in der Folge auch nicht schwer zu verstehen, wieso Dacus gerade die drei Songs "Ankles", "Talk" und "Best Guess" als Singles vorausschickte. Hier gelingt es der Amerikanerin nämlich ausgezeichnet, ihre Qualitäten als Texterin mit Melodien zu verweben, die ihren Worten gerecht werden.

Ich weigere mich deshalb auch zu akzeptieren, dass dieses Album einen Beleg dafür liefert, dass Dacus und womöglich selbst ihre Bandkolleginnen, dann ihre beste Musik machen, wenn es ihnen am schlechtesten geht. Diese Frau kann Zucker, und sie kann Pop, das sollte jeder Person spätestens dann klar sein, wenn sie das Video zu "Best Guess" gesehen hat. Nur muss man auf "Forever Is A Feeling" ein wenig zu lange danach suchen. Man findet hier durchaus Relikte eines aufregenden Albums über queere Liebe, das sich jedoch ein wenig zu wohl im beigefarbenen Indie-Nirvana fühlt, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Gerade von Dacus hätte ich dahingehend mehr Kante erwartet, aber naja, manchmal macht Liebe eben wirklich ein wenig blind.

Trackliste

  1. 1. Calliope Preludd
  2. 2. Big Deal
  3. 3. Ankles
  4. 4. Limerence
  5. 5. Modigliani
  6. 6. Talk
  7. 7. For Keeps
  8. 8. Forever Is A Feeling
  9. 9. Come Out
  10. 10. Best Guess
  11. 11. Bullseye (feat. Hozier)
  12. 12. Most Wanted Man
  13. 13. Lost Time

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