laut.de-Kritik

Die geballte Ladung Sex, Drugs & Rock'n'Roll.

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Wer auch immer behauptet hat, Rock'n'Roll sei tot, muss dringend eines Besseren belehrt werden. Mit "Rush!" bringt das italienische Rock-Quartett Album Nummer vier auf den Markt und zelebriert hausgemachten Rock vom Feinsten. Måneskin nutzten den feierlichen Anlass ihrer Album-Release-Party, um in einer skurrilen PR-Sause zu "heiraten" (die Band trug weiß). Damit die vier Bandmitglieder einander treu bleiben, versteht sich.

Treu bleibt die Band auch ihrem Sound und dem unangepassten Rocker-Image. Mit dem stampfenden "Gossip feat. Tom Morello" gelingt ihnen ein zynischer Auftakt, mit dem sie den American Dream und das Promi-Leben in Los Angeles auseinandernehmen: "This place is a circus, you just see the surface. They cover shit under the rug" Die Botschaft: Wir machen diesen Zirkus nicht mit. Das chaotische Musikvideo zur Single zeigt eine bunt gemischte Menschengruppe, die in einem Büro eingesperrt ist und alle Hemmungen fallen lässt. Inklusive einer knutschenden Nonne, einem splitterfasernackten Damiano und Tom Morello, der seine spezialangefertigte "Arm The Homeless"-Gitarre shreddet. Mamma Mia!

"Rush!" ist die geballte Ladung Sex, Drugs & Rock'n'Roll. Die Band, die nach ihrem herausragenden Sieg beim Eurovision Song Contest 2021 den Spitznamen "Horny ABBA" nach Hause trug, macht diesem alle Ehre. Selbstironisch spielen sie mit den alten Rockstar-Klischees. In den Songs geht es um Verlangen, Verzweiflung und Exzess: "Cocaine is on the table, don't care we're rebel "("Feel").

Dabei ist die Band eigentlich ganz brav. Mit den zahlreichen Kokain-Bezügen (unter anderem auch in "Bla Bla Bla" und "Supermodel") spielt Måneskin auf einen Vorfall beim Eurovision Song Contest an. Das Gesicht von Leadsänger Damiano David verweilte bei einer Liveschalte mehrere Sekunden lang auffällig nah am Tisch. Schnell kursierte das Gerücht, der Sänger habe eine Line Kokain gezogen. Emmanuel Macron forderte gar den Ausschluss der Band vom ESC. Nachdem ein negativer Drogentest Damianos Weste reinwusch, blieb die Band im Rennen.

Obwohl die Affäre damals einen ganz schönen Aufruhr verursachte, können die Italiener heute darüber lachen. "Die Leute denken, wir benehmen uns wie die Sex Pistols oder Mötley Crüe, aber wir sind nicht so. Wir sind besser über die Risiken von Drogen aufgeklärt und darüber, wie sie sich auf unseren Körper auswirken. Ich trinke nicht einmal mehr Alkohol", verriet der Måneskin-Leadsänger in einem Interview mit The Guardian.

Aber Damiano hin oder her - das eigentliche Rückgrad der Band sind immer noch Bassistin Victoria DeAngelis und Drummer Ethan Torchio. Der unverkennbare Groove glänzt und schillert so ausdrucksvoll wie die Glam-Outfits des rockigen Quartetts. Das kraftvolle Intro ("Mammamia") von DeAngelis und Torchio etablierte sich schnell zu Måneskins Markenzeichen.

Die Band lässt mit "Timezone" und "Il Dono Della Vita" allerdings auch zartere Töne anklingen. Die Liebesballade "If Not For You" erinnert inhaltlich an den gleichnamigen Dylan-Song. In beiden Liedern wird beschrieben, dass es ohne die Liebste keinen Frühling mehr gäbe. Fraglich ist, ob die textlichen Parallelen beabsichtigt waren. Im Kopfschmerz-Gewummer von "Don't Wanna Sleep" findet sich hingegen ein eindeutiger Bezug auf den Beatles-Song "Lucy In The Sky With Diamonds": "Dance, dance, dance, dance, dance until I die, wearing Lucy's diamonds to get a little shine."

Das pulsierende "Own My Mind" erinnert an die Single "I Wanna Be Your Slave" (2021). Hier geht es um die Schattenseiten des Verlangens, das Überschreiten von Grenzen, Besitzergreifung und Obsession. Auch "Read Your Diary" und "Mark Chapman" befassen sich mit der Frage, was passiert, wenn Liebe zu weit geht.

"Kool Kids" klingt punkig wie die Sex Pistols. Damiano gibt einen einstudierten Cockney-Akzent zum besten, den man ihm fast abkauft. Frech, unbekümmert und experimentierfreudig versucht sich die Band an einem neuen Genre, nimmt das aber nicht allzu Ernst: "We're not Punk, we're not Pop, we're just music freaks"

Überraschend trübsinnig endet die Platte mit "The Loneliest", in dem Damiano das Szenario eines vorzeitigen Ablebens durchdenkt. Auch "Gasoline" ist ernsthafter Natur, hier adressiert die Band den Ukraine-Krieg. "How are you sleeping at night? How do you close both your eyes, living with all of those lives on your hands?" Es ist offensichtlich, an wen diese Fragen gerichtet sind. Nach einer Performance des Songs bei Coachella im Frühling 2022, rief Damiano "Free Ukraine, Fuck Putin!".

Es bleibt abzuwarten, ob Måneskins punkig-sozialkritische Seite in Zukunft noch mehr ans Tageslicht kommen wird. "Rush!" gibt einen kleinen Einblick in Måneskins stetig wachsendes Potential. Das Songwriting hat im Vergleich zu den vorangegangenen Alben deutlich an Tiefe gewonnen. Neben altbewährten Herzschmerz-Balladen und Feel-Good Bangern beweisen die Römer, dass sie auch Kante zeigen und neue Stil-Gefilde beschreiten können.

Trackliste

  1. 1. Own My Mind
  2. 2. Gossip feat. Tom Morello
  3. 3. Timezone
  4. 4. Bla Bla Bla
  5. 5. Baby Said
  6. 6. Gasoline
  7. 7. Feel
  8. 8. Don't Wanna Sleep
  9. 9. Kool Kids
  10. 10. If Not For You
  11. 11. Read Your Diary
  12. 12. Mark Chapman
  13. 13. La Fine
  14. 14. Il Dono Della Vita
  15. 15. Mammamia
  16. 16. Supermodel
  17. 17. The Loneliest

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14 Kommentare mit 38 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Mochte ihren ESC Auftritt ja, aber auf Albenlänge können sie leider echt nichts bieten. Langweiliger, "kleinster gemeinsamer Nenner" Radio Pop Rock. 2/5

  • Vor einem Jahr

    Hmm. Jetzt besingen sie ihre Platten konsequent Englisch, weil sie die Welt bedienen wolle. Ist alles okay und nachvollziehbar, auf Italienisch fand ich sie besser, authentischer, spezieller. Die können trotz ihres jugendlichen Alters ziemlich gut mit ihren Instrumenten umgehen, deswegen kommt in der Rezi Gitarrist Tomas Raggi viel zu kurz. Der kann nämlich wirklich richtig spielen und trägt die meisten Songs wesentlich nach vorne. Da wächst so eine Art Italo-John-Frusciante nach und keiner nimmt's so richtig zur Kenntnis. An der Schießbude geht's da vergleichsweise moderat zu.
    Musikalisch müssen Maneskin ein bisschen aufpassen, sich nicht zu oft zu wiederholen und den groovenden Funk-Rock nicht zu überspannen. Live funktioniert das Zeug alles bestens, zugegeben. Auf Albumlänge nudelt es sich auch ein bisschen ab. Trotzdem ziemlich gute Band. Diesmal 3/5; eigentlich können sie's noch besser.

  • Vor einem Jahr

    Ihr neues Album ist auf allen erdenklichen Ebenen absolut schrecklich.