laut.de-Kritik
Auch den Feelgood-Tracks haftet ein bitterer Beigeschmack an.
Review von Holger GrevenbrockDeine mühsam aufgebaute kleine Welt hält jedem Sturm stand? Du glaubst, du stehst auf festem Boden? Milf Anderson zieht dir die Planke unter den Füßen weg und liefert dich den Haien aus, nur um dir im nächsten Moment den Rettungsring hinterher zu werfen. Seine Lyrics geben mal tiefe Einblicke in die rabenschwarz gefärbte Weltsicht, dann erklingt wieder scheinbar sinnentleerte Partymusik, der du dich unbedenklich hingeben kannst. Fließende Übergänge sucht man vergeblich, das kann Kraft kosten und die Nerven strapazieren, windstille Gewässer werden allerdings erfolgreich umschifft. Was die Vielfalt an Themen und Stilen betrifft, ist so schnell kein Land in Sicht.
Gibt man sich der Platte hin, drückt vor allem der allgegenwärtige Pessimismus aufs Gemüt. Widerstandslos liefern sich Manfred Groove dem Blues aus. Tanzbare Tracks wie "Sambaschlappen" oder "Ich Besitze Ein Boot" taugen einzig dazu, sich kurzweilig aus der Umklammerung der fatalistischen Ansichten zu befreien. Ganz wie der Typ, der bei einer Party die meiste Zeit tief im Sessel schwarze Wölkchen grübelt bis der eine Song erklingt, der ihn der lähmenden Lethargie entreißt.
"Alles Gut" bringt die gesamte Stimmung der Platte auf den Punkt: "Es zählt nur, dass man da ist| Sonst zählt heute nichts". Ein kurz aufflackernder Sonnenstrahl der durch die dicke Wolkendecke bricht. Aber auch diesem scheinbaren Feelgood-Track haftet ein bitterer Beigeschmack an: "Ich fühl' mich wie am Ende eines Hugh Grant-Films". Die depressive Stimmung des Albums rückt nur kurzzeitig in den Hintergrund und weicht illusorischen Konstrukten à la Hollywood. Keine schönen Aussichten.
Thematisch zieht das Album weite Kreise. Von den vier Elementen des Hip Hop-Klischees, wie de Lorenzo (Anderson) sie in "Vom Jägersitz Aus" zeichnet, nimmt er gehörig Abstand und sucht nach Erkenntnissen fernab der hektischen Gegenwart. Hemingway, Grass, Nietzsche und Freud sind ihm gerade gut genug, der eigenen Weltsicht Geltung zu verleihen. "Bruder Soul", der wohl ambitionierteste aller achtzehn Tracks, holt zum Schluss noch einmal weit aus zum Roundhousekick gegen jegliche sinnstiftenden Erklärungsversuche. Was bleibt ist verbrannte Erde.
Das vom ersten bis zum achtzehnten Track keine Langweile aufkommt, liegt auch an den abwechslungsreichen Beats, die sich perfekt ins Gesamtbild einfügen. Beatschmied Yellowcookie nutzt ein umfangreiches Repertoire an Stilrichtungen, das von Oldschool über Jazz bis Electro reicht. Dabei kommen die abwegigsten Instrumente zum Einsatz, die man im Hip Hop-Bereich eher selten vorfindet. Zu hören sind unter anderem Gitarren, Klarinetten und sogar Blechblasinstrumente, die Hand in Hand mit klassischen Hip-Hop Beats für ein homogenes Klangbild sorgen, ohne an irgendeiner Stelle konstruiert zu klingen.
Der Titel "Ton Scheine Sterben" beschreibt die drei wünschenswerten Phasen eines Musikerlebens, so Milf Anderson. Die Voraussetzung für die zweite Phase haben sie schon geschaffen. Im Intro tönt de Lorenzo selbstbewusst: "Wir trommeln jetzt laut und hoffentlich bald | hören alle nur noch Ton Scheine Sterben". Darauf ein Amen!
1 Kommentar mit 3 Antworten
Das ich das noch erleben darf: Ein deutschsprachiges Hip Hop/Rap Album welches man hören ohne sich fremd zu schämen.
Das ich das noch erleben darf: Ein deutschsprachiges Hip Hop/Rap Album welches hier nicht gedisst oder/und abgefeiert wird.WOW!!!
tut mir natürlich leid für dich.
wieviel wochen hast du denn noch ?
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