laut.de-Kritik
Großartiges Comeback mit Pulp, Blur, Billy Corgan und Beck.
Review von Michael SchuhNach 19 Sekunden ist sie einfach da. Someone saw you by the waterside. Mythen von mehr als dreißig Jahren verblassen, alle Halbwahrheiten verschwinden, sobald sich ihre Stimme erhebt. Eine Stimme, die Aufmerksamkeit verlangt, ohne penetrant zu wirken. It's time for sex with strangers. Eine Stimme, die mitten im Leben steht und viel darüber zu wissen scheint. Ob sanft reibend, oder knarzig, rau und rasselnd, sie erzählt immer schonungslos. Die Stimme gehört Marianne Faithfull. Maybe sex with someone else.
Dreimal mit Billy Corgan und Beck, je einmal mit Blur, Pulp und Dave Stewart, Mariannes Gästeliste klingt nach Celebrity, für nicht wenige wohl nach bemühtem Anschluss an den Zeitgeist. Alles Unsinn. Die Protagonisten moderner Popmusik haben mit der Diva Faithfull zusammen im Proberaum geschwitzt, haben ihre Stimme gehört, Kreativität gespürt und diese in wunderbaren Songs kanalisiert. Trotz der vielfältigen Einflüsse klingt "Kissin Time" überraschend homogen. Dank Faithfulls Stimme.
Auf Becks Elektro-Funk-Auftakt spricht und räuspert sie sich warm, auf Faithfulls "The Pleasure Song" klagt sie erstmals inbrünstig. Zu den Highlights gehören die Beck-Balladen "Like Being Born" und "Nobody's Fault", das dieser schon für sein "Mutations"-Album aufnahm. Die Instrumentierung hält sich dabei sorgsam im Hintergrund, um nicht abzulenken. Opulenter wird es, wenn Billy Corgan das Feld betritt, allerdings nicht an den Gitarren, sondern tatsächlich an der Elektronik. Dave Stewart begleitet Faithfull auf der wunderbaren Hommage an die zweite 60s-Ikone Nico und Blur laden zu einer großartigen Soul-Mantra-Session. It's Kissing Time.
"If Marianne was born a man she’d show you all – a way to piss your life against the wall". Jarvis Cocker nahm mal wieder kein Blatt vor den Mund und widmete der Faithfull einen amtlichen Pulp-Hit über ihr Leben, der der Wahrheit in vier Minuten vermutlich näher kommt, als wenn sie aus ihrer Autobiografie gelesen hätte. Sliding Through Life On Charm, eben. Das Motto ihres Lebens. Wenn am Schluss der mit Corgan gecoverte Herman's Hermits-Song "Something Good" erklingt, will man unwillkürlich ein weiteres Album mit ihr. Doch wir können nur hoffen und mit Leonard Cohen singen: So long, Marianne ...
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