laut.de-Kritik
Für Hardcore-Jazzer, Avandgardisten und Extrem-Rhythmus-Sadisten
Review von Kai KoppExtrem geniale Meisterwerke sind dem gemeinen Volk oft nur schwer zugänglich. Anspruchsvoll bis ins letzte Sechtzehntel präsentiert sich Michael Riesslers neuester Streich "Orange". Eine fast durchkomponierte Platte erwartet den jazztrainierten Hörer. Die Arrangements bewegen sich dabei auf dem schmalen avantgardistischen Grad zwischen Jazz und zeitgenössischer Klassik, neuer Musik. Wer auf diesem Grad wandelt, muß mit eingeschränkten Spielräumen leben und arbeiten. Das Aufeinandertreffen von Komposition und Improvisation klingt oft etwas eckig oder kantig, davon kann sich leider auch die Crew von Michael Riessler nicht freimachen. Die Themen sind so verquert, dass ich Herrn Riessler eigentlich schon eine musikalische Macke unterjubeln wollte, wenn sie nicht so abgedreht gut wären.
Die Melodie-Besetzung Akkordeon (Jean-Louis Matinier), Saxophon + Baßklarinette (Michael Riessler) und Stimme (Elise Caron) spielt am liebsten rhythmisch und melodisch vertrackte Unisono-Linien über das Sechzehntelfundament der Drehorgel (Pierre Charial). Der Stimme kommt dabei das besondere Gewicht zu, die "Banalitäten" des französischen Schriftstellers Georges Perec zu rezitieren, dem die Platte gewidmet ist. "Wie in seinem literarischen Werk alltägliche und banale Erinnerungsstücke für eine kollektive Erinnerung stehen, bewegt sich die Musik in einem modalen, der Sprache angepassten Raum, wobei verschiedene Modi wie in einem Puzzle ein assoziatives Gesamtbild hervorrufen", weiß dazu der begleitende Text. Alles klar?
Harter Stoff jedenfalls, die Kritiker überschlagen sich mal wieder, das gemeine Volk versteht nur Bahnhof, und Michael Riessler wird seinem Ruf abermals gerecht, genial, aber ungehört zu sein. Musik für Hardcore-Jazzer, Avandgardisten und Extrem-Rhythmus-Sadisten. Nicht dass wir uns falsch verstehen, die Platte ist gut. So gut, dass sie einer intellektuellen Oberschicht durchaus etwas zu sagen hat. Ich persönlich vermisse die musikalischen Freiräume, die einem die Improvisation ermöglicht. Etwas weniger Komposition und damit mehr Möglichkeiten der freien Gestaltung hätten dem Meisterwerk sicher gut getan. So bleibt "Orange" eventuell ein Relikt für die Gradwanderer zwischen oben beschriebenem Avantgarde-Jazz und Neuer Musik.
Schade eigentlich!
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