laut.de-Kritik

Der schwarzmetallische Vulkanausbruch des Jahres.

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Viel könnte man schwadronieren über die Kälte des Nordens, anmutig gespiegelt von diesen pechschwarzen Riffs. Doch 2019 ist Black Metal gesellschaftstauglicher, entmythisierter und demaskierter denn je – klar, denn früher war ja auch alles besser. Szene-Fakt ist: Schweden und Norwegen schlafen, Polen und Island brodeln. Und so hat sich – wie einst im norwegischen Bergen – in den vergangenen Jahren eine Szene in Reykjavík herauskristallisiert, an deren Spitze 2019 dick und fett das Emblem Misþyrming prangt. Denn eines sei in Stein gemeißelt: Das Zweitwerk "Algleymi" ist der vertonte Vulkanausbruch des Jahres.

Bereits ein Jahr nach dem geschätzten Underground-Debüt "Söngvar elds og óreiðu" kloppte die Gruppe um den damals erst 22-jährigen Bandkopf D.G. "Algleymi" ein, stampfte die Aufnahmen dann aber zugunsten eines kostenintensiveren Tonstudioaufenthalts wieder ein. Den isländischen Feen sei Dank: Es hat sich gelohnt. In 46 Minuten spielen sich Misþyrming einmal quer über die Vulkaninsel, passieren luftige Höhen genauso mühelos wie pfeilschnelle Gewitterböen und dreckige Midtempi-Landschaften.

Die Muse trieft aus allen Poren, den Kompositionen wohnt derselbe jugendliche Eifer inne, der einst Werke wie "In The Nightside Eclipse", "Bergtatt" oder "De Mysteriis Dom Sathanas" hervorgebracht hat. Natürlich nicht ohne entsprechende Begleiterscheinungen: Statt mit Messer und Feuerzeug zur Tat zu schreiten, entzündet D.G. lieber mentale Leuchtfeuer. 2019 schimpft man in Interviews und Reddit-Q&As(!) bevorzugt auf "social justice warriors" sowie die die Szene infiltrierende "vegan-no borders-feminist community". Einen bisschen wie ein kleiner böser Bruder von Insta-Influencer Nergal also. Aber wenn's das nur sein soll.

Zum Thema: Tatsächlich fahren Misþyrming auf "Algleymi" einen Kurs, auf der sie manchen enttäuschten Behemoth-Fan abholen. In Kompositionen wie "Ísland, Steingelda Krummaskuð" verbindet D.G. Nergal-typische Intonation mit Stampferbeats und melodischen Naglfar-Momenten. Um ein tausendfaches dynamischer als der unmittelbare Vorgänger kommt die Platte daher, mischt Blastbeats teils ganz dezent bei und mündet hie und da in behutsame Ambient-Industrial-Parts mit folkigem "Auld Lang Syne"-Touch ("Hælið"). Das kennen wir dann allenfalls eher von den deutschen Nagelfar kennt. Oder besser noch: Von Thorns.

Immer dabei, immer zur Stelle, um dem Sound den nötigen Stempel der Eigenständigkeit aufzudrücken: Die markanten bitterkalten Rauschegitarren des Debütalbums. Gerade der Titeltrack lebt von verhallter Harmoniearbeit, tausend Fjorde weit entfernt von der einheitlichen Post-Black-Metal-Tütensuppe. Vielmehr ein für die Band unverzichtbares Charakteristikum, das zwar auch schon "Söngvar elds og óreiðu" veredelte, es dafür dynamisch aber auch deutlich beschränkte. "Algleymi" hingegen: Spagat zwischen Tradition und Innovation. Volle Durchschlagskraft, volles Hörvergnügen, volle Punktzahl.

Und wenn man dann dank jahrelanger Gastspiele beim Roadburn auch noch ganz genau weiß, dass Misþyrming diesen Sound im Live-Kontext eins zu eins reproduzieren, dann, ja, dann hat man plötzlich sogar bei 30 Grad im Schatten richtig viel Spaß an ordentlichem, handgemachtem Black Metal.

Trackliste

  1. 1. Orgia
  2. 2. Með svipur á lofti
  3. 3. Ísland, steingelda krummaskuð
  4. 4. Hælið
  5. 5. Og er haustið líður undir lok
  6. 6. Allt sem eitt sinn blómstraði
  7. 7. Alsæla
  8. 8. Algleymi

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