laut.de-Kritik

Der Mannheimer Rapper in der Midlife Crisis.

Review von

"Ich denke oft zurück, und genieße diesen Rückblick, / auch wenn's nicht immer leicht ist, wenn ich den Geist zurück schick'. / Manchmal lach' ich Tränen, manchmal wein' ich richtig, / weil "Zeit heilt alle Wunden" für mich nur ein Gerücht ist. / Was würd' ich geben für einen kleinen Rückschritt, / um irgendwas zu ändern, doch Zeit nimmt keine Rücksicht. / Zeit ist viel zu wichtig, als dass sie dir zurück gibt, / was du verspielt hast, weshalb du heut' gefickt bist. / So ist das Leben, nicht immer nur ein Glücksgriff, / doch du entscheidest selbst, wohin's dich letztlich mitnimmt, / ja du entscheidest selbst zwischen Dunkelheit und Lichtblick, / yo du entscheidest selbst ob große Liebe oder Miststück."

Boah. Zum Glück schaltet der Mannheimer Mnemonic nach diesem fulminanten Auftakt erst mal einen Gang runter und lässt dem Zuhörer Zeit, das Gehörte zu verdauen. Der erste Part von "Zukunft" brilliert nicht nur mit sorgfältiger Wortwahl und beeindruckender Technik, er ist darüber hinaus einfach verflucht wahr. Der Mund bleibt erst mal offen stehen, auch wenn die folgenden Tracks "Keine Zeit" und "Grenzenlos" diese Intensität nicht erreichen. Der Untergrund-Rapper, erstes Signing von Fivas Kopfhörer-Label, befindet sich ganz offensichtlich am Ende einer Jahre andauernden Selbstfindungskrise und hegt Gedanken wie mein Erzeuger in seiner schlimmsten Midlife Crisis. In 24 Jahren nichts erreicht zu haben, mag vielleicht bedrohlich wirken, aber ging es jemals einem ernsthaften Musiker anders?

Nur positiv also, dass bei "Schieflage" das erste Mal zwei Featuregäste frischen Wind herein bringen. Doch so sehr sich Dek The Raw und besonders der Frankfurter Lunafrow auch reinhängen, aus dem vorliegenden Beat können sie - vorsichtig formuliert - nichts herausholen. Brisk Fingaz und melancholische Melodien, das klappte schon mal deutlich besser als hier. Da hat Donato auf "Kommen & Gehen", einer Anklage gegen falsche Freunde auf einen Beat des Siegeners DJ Crates, eine weit dankbarere Aufgabe. Mit "Jahr Für Jahr" macht aber auch der eben gescholtene Brisk Fingaz seinen Patzer wieder mehr als wett - einer der besten Beats der Scheibe.

Auch der Mainzer Shuko beweist eindrucksvoll, dass er Soulsamples nicht veredeln kann. Sein Beitrag "Wie Ich Bin" bleibt zwar unspektakulär, transportiert aber die Realness-Proklamation des Rappers sehr ordentlich. Ähnliches gelingt CSP beim Folgetrack "Kannst Du Mich Fühlen". Aus dem Rahmen fallen da nur der wirklich überragende A Capella-Track "Ohne Mich" und das abschließende "Ende Vom Anfang", wiederum aus dem Hause Shuko.

Mnemonic hat namhafte Produzenten, die ihre Aufgabe, möglichst unauffällig und trist zu bleiben, weitgehend erfüllen. Er verfügt über einen großen Wortschatz und weiß ihn zu benutzen. Perfekte Voraussetzungen, sollte man meinen, und dennoch zündet seine Scheibe höchstens stellenweise. Dreizehn Tracks, vollgepackt mit heftiger Melancholie und Sinnfragen, wirken ordentlich erdrückend. Natürlich ist das Album konzeptionell ausgelegt, aber der eine oder andere Ausreißer hätte "Zeitlos" gleich in ganz anderem Glanz erscheinen lassen.

Eine Mnemonik ist eine Art Gedächtnisstütze, eine Eselsbrücke, um Eindrücke behalten zu können. Der Mannheimer scheint dergleichen nicht zu benötigen - zu offen sind seine seelischen Wunden. Und so bleibt ihm nur die Verarbeitung selbiger, im stetigen Wechselspiel mit dem Vorsatz, dennoch er selbst bleiben zu wollen.

So löblich das auch ist - auf musikalischer Ebene ermüdet es auf Dauer. Selbst die Granaten, die der Rapper fallen lässt, sind mit Tränengas gefüllt. Doch: "Das hier ist nicht das Ende, das hier ist erst der Anfang. / Das hier ist nichts, verglichen damit, wenn ich Muskeln anspann. / Das hier ist nur ein Augenzwinkern, Homie, glaub es mir, / das hier ist Eisbergspitzen-Shit, komm schon, Homie, tauch mit mir!" - man darf gespannt sein.

Trackliste

  1. 1. 2ter Versuch
  2. 2. Zukunft
  3. 3. Keine Zeit
  4. 4. Grenzenlos
  5. 5. Schieflage
  6. 6. Kommen & Gehen
  7. 7. Jahr Für Jahr
  8. 8. Sieh Mich An!
  9. 9. Wie Ich Bin
  10. 10. Kannst Du Mich Fühlen?
  11. 11. Gegenwind
  12. 12. Ohne Mich
  13. 13. Ende Vom Anfang

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