laut.de-Kritik
Wenn hier einer Deutschrap rettet, dann dieser Mann.
Review von Max Brandl2011 endete mit einem für Deutschrap-Verhältnisse ungewöhnlich großen Hype: Ein junger Künstler namens Casper schickte sich an – vom Ein-Mann-Blog bis zur Tageszeitung war man sich einig – die gesamte 'Szene' zu erretten. Ich war irritiert, denn a) hatte Deutschrap niemals einen Notruf abgesetzt und b) ist "XOXO" zwar ohne Frage ein starkes Stück Musik und gerne auch all das, was man ihr sonst noch so nachsagt, aber keine Rap-Platte.
2012 beginnt nun gleich mit einem neuen, recht ähnlichen Hype. Wieder wird mir ein Hip-Hop-Heiland verkündet. Ich bin skeptisch, und werde von MoTrip umfassend eines Besseren belehrt. Wer "Embryo" gehört hat, weiß sofort, was Deutschrap in den letzten Jahren wirklich gefehlt hat: Charme, Flow und das Gefühl, als wär' rappen so leicht, dass man direkt selbst ein Album aufnehmen möchte. Ein gutes Gefühl.
Genau so, wie sich MoTrip in den vergangenen Jahren zunächst unauffällig, aber kontinuierlich durch ein Feature hier, einen Freetrack dort allmählich in die kollektive Wahrnehmung einschrieb und inzwischen bei Universal unter Vertrag steht, klingt auch sein Erstling: Intelligent, aber nicht aufdringlich. Leichtfüßig, aber nicht halbherzig. Open minded, aber keine Sekunde unfokussiert.
Ob er sich nun im Opener "Kennen" in obligatorischer Selbsthuldigung ergeht, in "Schreiben, Schreiben" relaxt über Rap rappt oder im Titelsong ein schwieriges, weil ungeborenes Kapitel seines Lebens aufarbeitet: Nie wird's wirklich großspurig, unangenehm kitschig oder gar pathetisch. Generell klingt bei MoTrip nichts bemüht, die große Geste ist nicht sein Style – die Substanz seiner Texte kommt gerade wegen der Hände in den Hosentaschen an. So paradox es klingt: Er ist ein bescheidener Angeber.
Seine Formel: "Deine Stimme plus die Technik mal die Flows geteilt durch Skills ist gleich der Inbegriff von Freshness / Nimmst Du das noch minus Wackness, minus Fake minus Shit minus Hate, ergibt: Trip." Meine mathematischen Fähigkeiten sind unterirdisch, doch hier weiß selbst ich, dass zwei wichtige Multiplikatoren vergessen wurden: Talent und Fleiß nämlich. Die tönen immer und unüberhörbar mit.
Eine Randnotiz nur, die aber ebenfalls ungemein auf das Sympathiekonto des Aacheners einzahlt: Er unterlässt es auf Albumlänge nicht nur tunlichst, andere Rapper zu diskreditieren, sondern dankt, ungeachtet ihres heutigen Markt- oder Stellenwerts, all denjenigen, die ihn auf seinem bisherigen Weg begleiteten. Und wenn er doch mal einen kleinen Hieb austeilt, dann mit einem Augenzwinkern und zugunsten einer One-Word-Punchline wie dieser: "... und geht's da nicht um ein Vermögen, bist du gleich verhindert / Du wirst zur Ratte, wenn's um Kröten geht – Meister Splinter."
Die gute Textarbeit und die unterhaltsame Art ihres Vortrags stellen aber nur eine Hälfte der Miete. Die andere Hälfte, die das Album so erstklassig und abwechlsungsreich macht, ist klar den Produzenten, allen voran Paul NZA, geschuldet. Der Mann, der schon die Ära Aggro Berlin maßgeblich mitvergoldete, packt den Newcomer mit einer Punktlandung nach der anderen auf die ganz breite akustische Leinwand.
Zeitgeistig elektronisch wabernd und voll auf die 12 zwingt beispielsweise die "Triptheorie" das Genick in den Takt – Deine Lieblingsrapper heißen jetzt MoTrip und Marsimoto. Angenehm unorthodox hingegen gerät der Einsatz von Geige, verzerrter Gitarre und kleinteiligem Sound-Dekor in "Kunst": Lange hat man einen so vertrackten Beat unter gut überlegten Lyrics vermisst.
Letztlich gelingt mit "Wir" oder dem Titeltrack selbst das, woran viele Rapper bei einem Publikum jenseits der Pubertät früher oder später scheitern: Dem Versuch, sensiblere, womöglich gar von ernsthaften (!) Selbstzweifeln durchsetzte Töne anzuschlagen. MoTrips einladende Art und die großartige Produktion ermöglichen, dass auch dieses Unterfangen gut gelingt.
Zu einem Ad-hoc-Klassiker fehlt dem Album indes ein Stück roter Faden. Vielmehr ist "Embryo" die beeindruckende Leistungsschau eines neuen Spielers, der soeben das Feld betreten hat und in nahezu allen Gangarten glänzt. Wenn allerdings der Albumtitel Programm ist und die Wachstumsphase seines künstlerischen Schaffens gerade erst begonnen hat, dann dürfen wir uns schon jetzt auf weiteren Nachwuchs freuen. MoTrip ist in der Tat ein "Kanacke mit Grips". Ich darf ergänzen: Und einer mit Herz.
252 Kommentare mit 3 Antworten
Halte es für das beste Debüt seit Kool Savas "Der Beste Tag Meines Lebens"!
Review gefällt mir, danke!
"Ich war irritiert, denn a) hatte Deutschrap niemals einen Notruf abgesetzt ..."
DAS ist so wahr!
Persönlich sind mir zuviele deepe Tracks darauf. An sich aber solide Sache. 3/5 von mir
mal stark abgefeiert. In der retrospektive aber leider erstaunlich durchschnittlich, bis auf den Intro/Ich Fang am Ende an-Track.
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Classic shit. Der Thread natürlich, nicht das Album
13 Seiten, shit! Schon immer äußerst relevant gewesen, der Trip!
Jetzt isser zu mainstream und doof