laut.de-Kritik
Man verliert die Angst, wenn man tanzt.
Review von Philipp KauseAls uns Mono und Nick wenige Wochen vor dem ersten Lockdown aus ihrer damaligen Tournee von politisch anders denkenden Followern berichteten, lag das Virus zwar schon in der Luft. Aber die Landtagswahl in Thüringen war das beherrschende Thema. "Deutschland Du Bist Rassistisch" stellt das Reggae-Duo auch im Nachhinein wieder fest: "In den Parlamenten sitzen nur noch rechte Dumme und kämpfen gegen den Planeten, letzte Runde", ergänzt eine weitere Vorab-Single, "Zeit Für Optimisten". Nicht nur besagte Wahl wurde entgegen anderer Pläne bisher nicht wiederholt, auch die meisten Tour-Termine aus 2020 drehten sich seither in der Warteschleife.
So stieß das private Paar Mono & Nikitaman home-based-isoliert auf manche Partnerschafts-Beobachtungen. Der CD-Titel "Autonome Zone" bezieht sich also nicht nur auf die Filterblase der links-autonomen Weltsicht "in meinem happy land", wie Nick seine Bubbles nennt. "Playlist" thematisiert wechselseitige Abhängigkeit versus Autonomie im privaten Umgang miteinander: "Dir ist komplett egal, wenn ich was sag / du machst es anders / und wenn es dann nicht klappt, bin ich der Arsch / der das verkackt hat."
Die Musik gluckert in allen Stücken fröhlich und melodiös, durchgängig mit poliertem Pop-Appeal. Den meisten Nummern kann man sich nicht entziehen, sie bleiben sofort im Gedächtnis. Leichte Kost aus den einschlägigen Producer-Werkstätten von Jugglerz bis Syrix. Stilistische Unterschiede lassen sich nur mit der Lupe finden: Fluffige Riddims perlen als sehr weicher Roots-Reggae mit schnuckeligen Bläser-Samples. Die wichtigen Songs, sei es weil man sie richtig oder falsch findet, sind die politischen für eine multikulturellere Gesellschaft. M&N erinnern daran, dass Deutschland eine Kolonialgeschichte in Namibia und Togo hat, wovon man ja selten hört.
Sowohl 'racial profiling' in den Reihen deutscher Polizeistationen als auch subtile Alltags-Diskriminierung listen Nick, Mono und Gast Jeff Braun auf: "Und wenn 'People of Color' von Übergriffen berichten, dann heißt das, wir haben ein Problem, und nicht nur statistisch (...) Sie macht Bewerbungsfotos, glättet ihr Haar / ihr Arbeitgeber kommt mit Afro nicht klar (...) Sprecht ihr auch diese komische Sprache? Kennt ihr diese 'cloc' / diese lustige Sprache?" Oder, um es auf den Gipfel der Klischees zu treiben, wie die Vermieterin Frau H. am Ort meines Ethnologiestudiums beim Einzug: "Schlimm, dass die Menschen in Afrika sich immer noch die Köpfe einschlagen und nichts aus der Geschichte gelernt haben!" Solche Vorurteile zu umzingeln bleibt der Markenkern des Dancehall-Gespanns, dieses Mal sogar weniger durch eigene Kiff-Bekenntnisse relativiert als 2018. Die Sozialkritik trägt zwar die immer gleichen Argumente vor, jedoch an neuen Beispielen der letzten Jahre.
Jetzt kann man Mono und Nikitaman vorhalten, dass sie wie in einer Sackgasse immer wieder an genau diesen selben Punkt stoßen: Dass Rassismus oft latent ist und in Unwissen wurzelt. Nur, mir ist die Tonlage zu innerdeutsch und wenig recherchiert. Sie bedient eine Konsenshaltung, ohne wirklich neuen Input zu geben. Mal ein Beispiel: Ghana ist eine stabilere Demokratie als Italien unter Berlusconi es war, wenn man genau hinschaut. Trotzdem werden dort in ländlichen Gegenden noch Homosexuelle verfolgt. Darüber könnte man einen Song machen. So würde es sich hier für Namibia und Togo oder Herkunftsländer aktueller Migration (Nigeria, Somalia, Eritrea) anbieten; dann versteht man auch eher Zusammenhänge. Für Differenzierungen sollte doch bei einer thematisch so etablierten Gruppe Raum sein.
Für "Autonome Zone" spricht dennoch etliches: Das von Mono gestaltete Artwork lohnt fünf Mal hinzugucken. Dem Reggae-Paar ist eine schöne musikalische Umsetzung gelungen. Die Reime sind treffsicher, die Stabübergaben im Duett-Gesang fließen perfekt. Manche Texte erweisen sich wirklich als gehaltvoll. "Geboren Um Frei Zu Sein" zitiert Theodor Adorno, Ikone der '68er-Bewegung, und kommentiert noch einmal gründlich EU-Migrationspolitik und mediale Berichterstattung darüber.
Gegen Massentierhaltung setzen sich M&N dieses Mal mit sehr drastischen Lyrics ebenfalls ein: "Kein Tier Ist So Brutal Wie Wir". Den Song hatten sie schon zum Release im Sommer 2021 fertig. Dann wurde die CD mehrmals verschoben. In der Doku-Show-Serie "Gewissensbisse" auf VOX (September '21) zeigte sich das Knifflige am Thema und dass es sich kreativ durchaus so umsetzen lässt, dass man Fleischkonsumenten und Tiere zusammen bringt. Die Idee der TV-Sendung war: Wer sich für die ihm zuhause im eigenen Garten anvertrauten Hühner oder andere Viecher erwärmt und sich nach einer Woche nicht von ihnen trennen kann, muss den Deal eingehen, fortan vegetarisch zu leben. Dort lustig, bei Mono und Nick vergleichsweise verbittert, resigniert, angewidert. Schonungslos. Immer wieder aber irritiert das kollektive (Mainstream?-)'Wir', "wenn wir in den Döner beißen". So oder so, die beiden Mittvierziger treffen Themen, die in der Luft liegen. Sie können vom erhobenen Zeigefinger nicht lassen, aber sie stehen sonnenklar für ihre Sache ein.
Ihre Glanzleistung liegt im humoristischen Stück "Wenn Es Uns Doch Glücklich Macht" mit klappernden Dancehall-Beats ("Wir hauen uns die Nächte um die Ohren , drehen völlig durch wie die Berserker (...) wir haben alle einen an der Waffel") und in den abstrakteren, philosophisch getexteten, wunderschönen Stücken "Freier Fall", "Champion" und "Wenn Man Tanzt". Alle genannten sind so smooth, dass sie keine Analyse und Erläuterung brauchen. Hoffen wir mal für Mono & Nikitaman, dass The Stranglers aus letzterem Stück keine Interpolation von "Golden Brown" raushören. "Man verliert die Angst, wenn man tanzt", stimmt Mono an. Da hat sie Recht.
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