laut.de-Kritik

Sooo dick muss die Hose für guten Hip Hop gar nicht sein.

Review von

"Das ist meine Geschichte, geschrieben auf unzähligen Zeilen. Alles, was ich bin, geb ich preis", rappt Moris im Intro. Tatsächlich darf man den Chemnitzer beim Wort nehmen.

Gleich im ersten Track "Gegenwind" erzählt er uns ein Stück seines Lebensweges. Auf dem "Dachboden" schwelgen wir mit ihm in Kindheitserinnerungen an Lego, Zeichentrick und den guten alten 4you-Rucksack: "Der alte Schulranzen, auf dem 4you stand / Kaum zu glauben, dass ich den wirklich mal cool fand". Ja - den Gedanken hatte ich auch schon mal.

Moris' Debüt, ein persönliches Album, bleibt - ganz entgegen der üblichen Rappermanier - praktisch frei von narzisstischer Attitüde. Moris will Songs schreiben, die jeder für sich adaptieren kann. So spiegeln die Texte die Eindrücke und Erfahrungen eines jungen Individuums in unserer Gesellschaft wider. Eines sehr menschlichen sogar, mit Schwächen, mal wütend, mal ängstlich, mal nach der großen Liebe suchend. "Menschlichkeit bedeutet, wir können keine Helden sein / Ich schenk' dir diesen Moment, um ihn mit mir zu teilen."

Eines zieht sich dabei durch die ganze Platte: der alles überstrahlende Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung. "Ich muss loslassen, was mich bindet, festhalten, was mich frei macht, bevor es wieder verschwindet", heißt es in "Fesseln", der ersten Singleauskopplung.

Dieser Song offenbart geradezu lyrische Qualität, wenn Gast Lars vom Dorf rappt: "Manchmal schau' ich tief in den Spiegel und seh' in meine Augen / Suche meine Seele, doch seh' einen See in meinen Augen / Einen See, der sich nährt aus einem Fluss von Erwartungen / Ein ewiges Meer aus gefrusteten Erfahrungen / Hier kannst du dich schnell selber verlieren / Deinen Willen verlieren und dann versiegt die Quelle in dir."

Bei solcher Sicherheit im Ausdruck und der richtigen Verwendung des Imperativs, findet die Raplounge es gerechtfertigt, Moris in einem Interview danach zu fragen, ob jemand die Texte Korrektur gelesen hätte. Moris kontert: "Ich hatte in Rechtschreibung immer eine Eins und ich bin Grammatik-affin. Wenn du nicht weißt, was das ist, google das, Bitch!"

Auf den Kopf gefallen is' er nicht, der Moris. In "Wasted Youth" und "Fallobst-Diät" lässt er sich über verstörte Teens in Röhrenjeans und andere Produkte unserer pervertierten Gesellschaft aus. Das Herz eines jeden Beuys-Verächters hüpft, wenn man Rustee rappen hört: "Noch ein dürrer Kunststudent im Unterhemd, der seinen Haufen Scheiße ein Kunstwerk nennt / Und in pinken Leggins auf dem Fixie Bike über das Leiden seiner Strickjacke Gedichte schreibt." Yeah! Das wollen wir hören. Denn auch für den Hip Hop gilt: "Ich kann die Kunst vor lauter Künstlern kaum sehen."

Gedisse, Fehden, Tote - und das, weil die meisten Rapper meinen, sie müssten ihr narzisstisches Ego zur Kunst erklären. "Hip Hop ist tot, erschossen auf offener Straße." Moris stellt in "Dead Rappers" zurecht die Frage: "Aber was hat all das mit der Musik zu tun? ... Hip Hop ist vollgefressen und bewegt sich wie ein Sandsack / … Er ist krank und schaufelt sich sein Grab / Weil er glaubt, im Rausch braucht man keinen Schlaf."

Einig sind wir uns sicher alle, dass das Geballere nichts, aber auch gar nichts, mit der Musik zu tun hat - beziehungsweise haben sollte. Allerdings stellt sich natürlich schon die Frage, ob diese völlige Selbstüberschätzung der Rapper nicht irgendwie dazughört. Wie dick muss die Hose im Hip Hop eigentlich sein?

Moris beweist: um ein gutes Hip Hop-Album zu machen, gar nicht sooo dick. Und die ganze Disserei brauchts auch nicht: "Nein, will ich auch nicht", sagt Moris im Interview. "Wen auch? Vielleicht diese Möchtegern-Hipster. Aber namentlich …nein. Ich will auch nicht wegen sowas bekannt werden."

Wenn das Schreiben zur Eigentherapie alle Rapper so zahm machen würde, wäre dem Hip Hop sicherlich ein Stück weit gedient. Bei Moris funktionierts: "Nach diesem Album ist mein Kopf endlich wieder frei."

"Omnipräsent" malt nicht schwarzweiß. Vom melancholischen Einzelkämpfer über den sentimentalen kleinen Jungen im großen Mann bis hin zum Hedonisten auf dem Weg zum Nullpunkt - aus den verschiedensten Perspektiven entstehen ganz unterschiedliche Songs.

Auch die Arbeit von Produzent Quixx zeugt von Experimentierfreude. Die manchmal etwas wenig eingängigen Beats werden durch die der letzten beiden Tracks voll entschuldigt. "Kein Traum", ein Liebessong an die große Unbekannte, spricht wohl so manchem Mann aus der Seele. Sogar wir Frauen bekommen eine Antwort auf die Frage: Wie halte ich mir einen freiheitsliebenden Mann? "Ich bin für alles, wirklich alles, bereit, alles bereit, außer dafür, gefangen zu sein. Lass' mich ein paar Meter selber gehen und ich komm' zurück."

"Cadillac" bringt dann den luftig leichten Abgang und hinterlässt ein wohliges Gefühl in den Ohren und der Seele: "Fenster auf, Radio laut, Fahrtwind rauscht in meinen Ohren. Falls mich meine Sorgen heute suchen, bin ich abgetaucht. Wenn du auch so fühlst, komm' mit mir ans Meer. Wir fahren mit Vollgas der Sonne hinterher."

Auf unbeschwertem, von Gitarren getragenem Two Step-Beat lädt Moris zur Fahrt im Cadillac und einem Abend an der Bar ein, an dem er uns ein offenes Ohr für unsere Lebensgeschichte schenken will, denn die ist es nicht weniger wert, gehört zu werden, als seine: "Denn ich fahr', denn ich fahr', frei, wie im Cadillac / Verdeck runter, Kippe an. Wenn ich will, bin ich weg / Ich bin frei, ich bin frei, so frei, so frei. / Ich bin nicht besonders, nicht mehr als ihr es seid." Ach Moris, ich fahr' mit dir und vertrau' dir meine Geschichte an. Vielleicht erzählst du sie ja im nächsten Album.

Kein Narzissmus, kein Gedisse - das hat der deutsche Hip Hop nämlich gar nicht nötig. Lieber alle Fesseln abgestreift und mit 'nem guten Hangover im Cadillac Richtung Meer der Sonne hinterher.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Gegenwind
  3. 3. Fesseln feat. Lars vom Dorf
  4. 4. Dachboden
  5. 5. Dead Rappers
  6. 6. Schwarz Und Weiß
  7. 7. Sex, Drugs & Rock'n'Roll feat. B. Bass
  8. 8. Wasted Youth
  9. 9. Schwäche
  10. 10. Fallobst-Diät feat. Rustee
  11. 11. Hangover
  12. 12. Kein Traum
  13. 13. Cadillac

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