laut.de-Kritik

Busselt mich ab, Herrgott nochmal: Grumpy cat in Hochform.

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Das Album nach dem Kassenerfolg gilt immer als große Herausforderung, vergleichbar mit dem zweiten Album nach dem umjubelten Debüt. In beiden Fällen stellt sich die Frage: Wird der Künstler es schaffen bzw. hält er es für notwendig, seinem Stil neue Nuancen abzuringen, einen unorthodoxen Weg einzuschlagen oder heiligt der Erfolg die Mittel und alles bleibt weitestgehend gleich?

Es dürfte nur Unkundige wundern, dass für Morrissey selbstverständlich andere Kriterien gelten, und zwar dieses Mal aus dem einfachen Grund, dass er mit "Autobiography" 2013 einen Megaseller auf dem Buchmarkt landete. Die mit Giftpfeilen gespickte Lebensbeichte war international erfolgreicher als sämtliche jemals veröffentlichten Alben inklusive der Smiths, weshalb der Autor, mutmaßlich benommen vom fremden Gefühl höherer Gerechtigkeit, gleich einen neuen Roman in Aussicht stellte.

Vielleicht entstand so auch die Idee, erst mal zwei Spoken Word-Videos zu "Earth Is The Loneliest Planet" und "The Bullfighter Dies" zu drehen, deren Message unzweideutig lautete: Höret das Wort des Herrn, die ihr fürchtet sein Wort, liebe Einwohner Mozzalems. Doch Poesie hin oder her: Schön, dass sich nach fünf Jahren wieder eine Plattenfirma den Agit-Greiner als Musiker leisten und obendrein ein antiquiertes Label-Logo für ihn reanimieren konnte: "Harvest" diesmal, bekannt von legendären Pink Floyd- und Deep Purple-Platten aus der Bronzezeit.

"World Peace Is None Of Your Business" orientiert sich überraschend wenig am noiserockig scheppernden Vorgänger "Years Of Refusal", ein Glücksfall, denn dessen muskulöser Riff-Frontalunterricht alterte dann doch eher rasant. Stattdessen erwartet den Hörer ein ausdifferenzierter Sound, der endlich wieder diese Freiräume für das in Morrisseys Kunst faszinierendste Element schafft, das "Autobiography" nicht zu erbringen imstande war: seine Stimme. His Master's Voice.

Die weichen Klangteppiche seines jüngeren Meilensteins "You Are The Quarry" sind allgegenwärtig, gleich in der bitteren Anklage des Titeltracks, einer Ballade im 60er Jahre-Stil. Musikalisch gelungen, geißelt der Text eher grobrasterig den Machtmissbrauch von Staaten über seine Bürger, stört sich dann an deren passivem Abnick-Verhalten ("Work hard and sweetly pay your taxes / never asking what for") und erklärt schließlich alle Wähler zu Idioten ("Each time you vote you support the process"). Einer der gefährlicheren Standpunkte auf dem Album, nicht nur, weil es sich als gut situierter Popstar aus dem barocken Lehnsessel heraus angenehm über Demokratieverweigerung schwadronieren lässt.

Gleichwohl gibt dieser Auftakt die Richtung vor: Auch mit 55 Jahren ist die grumpy cat from Manchester zu jung für altersmilde Gelassenheit. Die zwölf neuen Songs bieten alles, was Morrissey-Fans an ihrem Idol lieben: Einen aufwiegelnden agent provocateur mit spitzer Zunge und einem unerschöpflichen Arsenal an galligem Sarkasmus, gebettet in elegische Dramen im Cinemascope-Format.

Seine literarische Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit dringt auf "World Peace" immer wieder durch, etwa in der Hymne an die Beat-Generation in "Neal Cassady Drops Dead", wo auch die homoerotische Beziehung zu Allen Ginsberg zur Sprache kommt. Stichwort Deep Purple: Der Song beginnt mit verzerrten Heavy Metal-Riffs, die vor allem als Geräuschkulisse für Morrisseys Sprechgesang (!) dienen und nach der Hälfte ebenso überraschend in einen akustischen Flamenco-Part übergehen. Definitiv ein Grower-Track.

Die Hinwendung zum Flamenco ist der signifikante Unterschied zu früheren Alben und geht zu großen Teilen aufs Konto des neuen Keyboarders und Flamenco-Kenners Gustavo Manzur, der bis auf das unnötige Didgeridoo nur guten Einfluss auf den Sound ausübt. Neben dem genannten Track durfte Manzur auch "Earth Is The Loneliest Planet" mitkomponieren, die Vollendung dessen, was "When Last I Spoke To Carol" vom letzten Album versprach - Mozzers Latino-Anhängerschaft in Übersee wird vor Ehrfurcht erzittern. Auch der kongeniale Einsatz der Saz im fantastischen "Istanbul" dürfte aufs Konto des Neulings gehen.

Vielleicht ist es diese neue bandinterne Freizügigkeit, die den Abgang des langjährigen Co-Songwriters Alan Whyte zu keiner Sekunde spürbar werden lässt. Ex-Alanis-Gitarrist Jesse Tobias ist ebenso wie Gitarren-Grandseigneur Boz Boorer an fünf Songs beteiligt. Die Highlights folgen Schlag auf Schlag. "I'm Not A Man" klingt wie eine Mischung aus Variété-Stück und Dean Martin-Dinnerballade, in der Morrissey einmal mehr den distinguierten und gegen Machismus allergischen Misanthropen gibt - mit gloriosem Höhepunkt: "I'm not a man / I'm something much bigger and better than a man". Für den guten Zweck nimmt er in der Bridge sogar das Wort "T-Bone-Steak" in den Mund (das Wort!) und verkündet allen Karnisten ihr unrühmliches Ende: Prostatakrebs.

Weil ihm Fleischesser alleine als Hassobjekte nicht ausreichen, trollt er auch gegen vermeintlich glückliche Bräute ("Kick The Bride Down The Aisle"), begleitet von einer Kirchenorgel und akzentuiertem Flamenco-Part in der Bridge. Im selbsterklärend betitelten "The Bullfighter Dies" klatscht er zum Tod spanischer Torreros und locker-fließendem Smiths-Pop in die Hände und bemüht Songzeilen, für die der Begriff Witzelsucht erfunden wurde ("Mad in Madrid / Ill in Seville ... Gaga in Malaga / No mercy in Murcia").

"Staircase At The University" wird ähnlich stark von Synthiesounds geflutet wie einst "Everyday Is Like Sunday", Drummer Matt Walker klopft uneigennützig frivole Dance-Beats, bevor Morrissey den heraufziehenden Optimismus in alter Tradition mit finsteren Textzeilen erdet. Er handelt von einer Studentin, die unter dem auf sie ausgeübten Leistungsdruck zusammenbricht und sich das Leben nimmt ("She threw herself down and her head split three ways").

Zum Ende hin duellieren sich Trompeten, Boorers tieftraurige Klarinette und ein göttliches Solo von Flamenco-Kaiser Manzur und setzen dem Almost-Happy-Pop die Krone auf. Nun hat er es auf die Spitze getrieben, denkt man noch, weiter kann er sich dem seltsamen Gefühl namens Lebensfreude eigentlich nicht annähern, da erschlägt einen das frei von jeder Hinterlist formulierte Liebeslied "Kiss Me A Lot", in dem Morrissey das Abbusseln zur Königsdisziplin erhebt. Ist das schon Selbstironie? Egal, denn so schön gejodelt hat er seit "William, It Was Really Nothing" nicht mehr.

Morbide Romantik durchzieht das zeitlupenhaft mäandernde "Smiler With Knife", das zum gramvollen Album-Finish anhebt. Das eher unentschlossen dahinwabernde "Mountjoy" zeichnet ein Portrait des gleichnamigen irischen Gefängiskomplexes und bildet in erster Linie den Übergang zum gottgleichen "Oboe Concerto", für das ebenfalls keine Subtext-Exegeten aktiv werden müssen.

"All the best ones are dead / the older generation have tried, sighed and died / which pushes me to / their place in the queue", bibbert His Mozzness dem eigenen Ende entgegen, nachdem im Intro die Stimme einer gesampelten Dragqueen der 60er Jahre seinen Grabsteinsatz formuliert: "And he spoke with his voice, while he talked with his mouth." So widerlegt "World Peace Is None Of Your Business" alle Unkenrufe, die seine immer kurioser anmutenden Presse-Statements und Krankenhausaufenthalte in letzter Zeit hervorgerufen haben: In dieser Form bleibt Morrissey unersetzbar. Bei Harvest hat er für zwei Alben unterschrieben.

Trackliste

  1. 1. World Peace Is None Of Your Business
  2. 2. Neal Cassady Drops Dead
  3. 3. I'm Not A Man
  4. 4. Istanbul
  5. 5. Earth Is The Loneliest Planet
  6. 6. Staircase At The University
  7. 7. The Bullfighter Dies
  8. 8. Kiss Me A Lot
  9. 9. Smiler With A Knife
  10. 10. Kick The Bride Down The Aisle
  11. 11. Mountjoy
  12. 12. Oboe Concerto

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