laut.de-Kritik

Melancholische Töne der frischgebackenen Mutter.

Review von

Nelly Furtado war die charmanteste Überraschung des Jahres 2000. Ohne riesige Medienkampagne setzten sich Songs wie "I'm Like A Bird" und "Turn Off The Light" in den Ohren und Herzen vieler Menschen fest, ohne dass eine Erklärung parat war, weshalb dies geschah. Es schien fast so, als ob die Musikhörer-Gemeinde ob des nicht stattgefundenen Zusammenbruchs der Computersysteme dieser Welt Ende 1999 ihrer Freude beim Hören von "Whoa, Nelly!" Ausdruck verleihen wollte.

Millionen verkaufter Platten und ein Baby später erscheint dieser Tage Nellys zweiter Streich, schlicht "Folklore" betitelt. Das bekannte Bild eines zarten, kleinen Girlies ist dem einer nachdenklichen und nicht immer ganz so gut gelaunten Frau gewichen. Dies manifestiert sich zuallererst bei der Covergestaltung. Räkelt sich die Kanadierin bei ihrem Debüt noch im grünen Gras, so dominieren jetzt herbstliche Töne. Um die etwaige Kälte besser ertragen zu können, hüllt sie sich in eine Kapuzenjacke samt Federboa-Bordüre.

So herrschen denn, als Erfüllung dieser visuellen Prophezeiung, die Moll-Töne vor. Zwar steigert sich Nelly nicht in weinerliche, tränenreiche Orgien hinein, der melancholische Unterton, der zwischen Banjo- und Geigenspiel hervor lugt, hinterlässt jedoch den Eindruck, als habe sich hier eine Frau etwas mehr mit den Schattenseiten des Lebens allgemein oder mit denen ihres eigenen befasst.

Die lockere und leichte Eingängigkeit, die ihr Debüt noch auszeichnete, ist einem ausgeklügelteren Tiefgang gewichen. Unterstützung findet sie dabei in einer vorzüglichen Band, die unter anderem mit Banjo-König Bela Fleck, Beck-Basser Justin Meldal-Johnsen, sowie den Fidel-Virtuosen des Kronos Quartetts glänzt. Es braucht schon mehrere Durchläufe, bis sich die Songs entfalten und ihre Pracht offenbaren. Das Nicht-Schielen auf ein zweites "I'm Like A Bird" erweist sich deshalb im Nachhinein gesehen als richtige Alternative.

Hip Hop-Einflüsse tauchen nur noch als Beat-Randnotizen auf. In diesem Zusammenhang jedoch von einer Armut an Vielfalt zu sprechen würde "Folklore" nicht gerecht. Verspielt und doch aufs Wesentliche beschränkt präsentiert sich ein Großteil der Tracks. Vom Opener "One-Trick Pony" bis "Try" darf die Skip-Taste ein Arbeitslosen-Dasein fristen. Erst "Fresh Off The Boat", das trotz positiver Vibes etwas eindimensional durch die Landen poppelt, nervt ein wenig. In die selbe Kerbe haut auch "Força", doch sorgt hier die afrikanisch anmutende Melodieführung und Nellys portugiesischer Gesang für Sonnenschein allenthalben.

Als Totalausfall muss "Saturdays" gelten, in dem Produzent Jarvis Church wie ein hysterischer Kastraten-Johnny Furtados Textfragmente echot. Über derlei Quatsch breitet sich gnädig das Mäntelchen des Schweigens. Auf der Habenseite steht indes qualitativ hochwertiger Herzschmerz ("Build You Up"), ein wenig Flamenco-Touch ("Island Of Wonder") und eine etwas wirre, in seiner Mächtigkeit mit Kirchenorgel-Begleitung jedoch umwerfende Ballade an ihr Neugeborenes ("Childhood Dreams").

So schickt sich die Neu-Mutter an, auch drei Jahre nach ihrem ersten musikalischen Lebenszeichen an, weiterhin musiikalisch charmant zu sein.

Trackliste

  1. 1. One-Trick Pony
  2. 2. Powerless (Say What You Want)
  3. 3. Explode
  4. 4. Try
  5. 5. Fresh Off the Boat
  6. 6. Forga
  7. 7. Saturdays
  8. 8. Picture Perfect
  9. 9. The Grass Is Green
  10. 10. Build You Up
  11. 11. Island of Wonder
  12. 12. Childhood Dreams

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LAUT.DE-PORTRÄT Nelly Furtado

"Whoa, Nelly!", so der Titel ihres Debüts, könnte als Ausdruck für diese außergewöhnliche Sängerin und Songschreiberin nicht besser gewählt sein.

18 Kommentare

  • Vor 18 Jahren

    Hm, dabei ist sie doch nur zu ihren roots zurückgegangen. Maneater ist die erste Single seit langem, die ich mal wieder ok finde... Den Hippi-Scheiss von ihr mochte ich gar nicht.

  • Vor 18 Jahren

    "Folklore" ist mein Sommeralbum 2005. Eine Zugfahrt 2005 von München nach Rheda-Wiedenbrück. Dauer sechs Stunden und nur diese eine CD. Und immer wieder auf repeat gedrückt und nie wurde ich müde, diese wunderbaren Songs mir anzuhören. :)

    Ihr neuer Sound gefiel mir auf Anhieb nicht so, aber "promiscuous boy" kann in einer discothk schon sehr gut rüberkommen, eignet sich gut zum tanzen.

  • Vor 16 Jahren

    bekommt von mir vier punkte.
    etwas ruhiger als das neueste album, dadurch kann nelly ihr gesangspotential besser ausschöpfen.

    favs:
    powerless
    the grass is green
    explode
    forca