laut.de-Kritik

Selbstaufgabe hat selten so viel Spaß gemacht.

Review von

Das Digital Hardcore-Genre gehört in Deutschland inzwischen wohl in die Schublade der nostalgisch verklärten Rebellions-Phase, die verdrängt konservative Musiknerds zwar noch abstrakt in Ehren halten, aber auch nicht mehr all zu oft aus der Mottenkiste kramen. Dabei hat sich der Atari Teenage Riot-Sound inzwischen eines kleinen Revivals erfreut: Artists wie Machine Girl, beizeiten Gruppen wie Death Grips haben Elemente des Gameboy-Aufstands genommen und neu verbaut. Aber nirgends klang das Genre so frisch wie in Händen der Band Neupink. Die nehmen, was mal Futurismus war, und holen es aus dem Hypothetischen ins Reale. "Seaweed Jesus" ist ein musikalisch wunderbares, surreales Gegenwarts-Geballer.

Vielleicht hilft es einfach, dass der Demo-Redner-Esprit von ATR hier nirgends zu finden ist. Die Vocals auf "Seaweed Jesus" nehmen höchsten dritten Rang ein, im Mittelpunkt stehen die digitalisierten, marodierenden Riffs, die formwandlerisch und synthetisch nach vorne preschen. Spielerisch ist Neupink so viel interessanter und ambitionierter als viele alte Genre-Kollegen – und im Gegensatz zu moderneren Interpretationen des Genres, die eher in Richtung reiner Electronica neigen, macht hier der Band-Charakter eine Menge Sinn. So kann man Elemente aus Glitchcore und vor allem aus dem Math Rock einmischen.

Das Ergebnis ist eine Sound-Textur, auf der man richtig übel hängenbleiben kann. Das Intro "Seventh Flight Of Maidbot Ruin" bauscht sich immer wieder zu exzentrischen Wellen aus Gitarre und Synthesizer auf, groovt dabei mit Vollgas nach vorne und lässt zahllose Variationen von Rhythmus-Pattern und instrumentale Interludes durch den Song wetzen. Das ist alles auch keine Technik-Masturbation, weil die Ergebnisse auch ohne Musikwissen für sich sprechen. Das ist einfach geile, intrigante, körperliche Moshpit-Musik.

Dass dazwischen immer mal wieder kurze Interludes geschlagen werden, die ein bisschen aus dem Mondraketen-Tempo des Restalbums herausnehmen, zeigt auch hier den Generationenkonflikt des Genres. Nach dem ersten Verse des Openers gibt es einen kurzen Ambient-Moment, der schwermütig und erschöpft klingt. Raus aus der Cyber-Fabrik, rein in den eigenen Kopf, ähnlich entspannte Klangpaletten bietet auch der Breather "Lakeside Short Of Here ...". Die Synthesizer klingen auf einmal kurz schwer atmend, aber friedlich, nur der Noise-Hintergrund steht trotzdem fest am Himmel. Es sind diese Gegenpole zum Geschredder von "Seaweed Jesus", die dem Album eine gewisse Tiefe und emotionale Textur verleihen. Es ist kontrastreich und komplex für eine kurzweilige High-Energy-Platte.

Das Kerngefühl ist im Gegensatz zu ATR nämlich nicht Wut. Damals war man wütend gegen Nazis, gegen das System, gegen eine Gesellschaft, die uns am liebsten alle durch Roboter ersetzen würde. Hört man Neupink, versteht man, dass wir alle unlängst die Roboter geworden sind. Also warum noch groß wütend sein? "Seaweed Jesus" ist nach einem effektiven Stop-and-Go-Modus getaktet, der die Hilflosigkeit der Gegenwart illustriert. Das Album fühlt sich wie Highspeed auf der Datenautobahn an, komplette Reizüberflutung und betäubter Hypermodernismus im einen Moment, dann bricht es in kurzen Ambient-Momenten wieder völlig zusammen.

Doppelter Burn-Out-Münzwurf, quasi, das zeigt sich vor allem auf dem ambitionierten Abschlusstrack "Blissfrog Heart Locket". Hier finden sich die diversen Unbequemlichkeiten, die sie ihren Instrumenten entlocken, auf der Dreiminutenmarke - ein Moment, in dem sich das einzige Mal aller Noise-Nebel lichtet, der sonst auch die Ambient-Passagen verschüttet hielt. Ein kurzer Moment Sonnenschein durch das Ozonloch und den sich öffnenden Smog. Einen Moment der klaren, süßen Synth-Plugs bekommen wir, glasklar und offen. Dann hören wir aber die Screamo-Vocals, leise in die Ferne gemischt, sie kehren langsam zurück und der Industrieriese setzt sich wieder in Bewegung. Wenn Digital Hardcore früher die Angst vor dem Cyberverse war, dann ist das hier die Resignation einer Gruppe, die darin aufgewachsen ist.

Anders geben die ganzen Querverweise in globale Nerd- und Weeb-Kultur auch gar keinen Sinn. "Seaweed Jesus" ist absurdistisch und ohne Imperativ, weil alles andere dem Zeitgeist dieses Albums nicht gerecht werden würde. Es ist Leistungs-Overload aus dem Auge des Konsums. Vielleicht ist deswegen der beste Song auch der zweiminütige Rager "Necrokalashnikov Eyes". Denn aller emotionalen Tiefe zum Trotz ist der große Appeal dieses Albums am Ende doch das technisch und methodisch übergeile Geschrammel von Gitarren und digitalen wie analogen Synthesizern, die sich zu einem einzigen, alles zerlegenden Matrix-Moshpit zusammentun. Komplette, kulturelle Selbstaufgabe hat selten so viel Spaß gemacht.

Trackliste

  1. 1. Seventh Flight Of Maidbot Ruin
  2. 2. Necrokalashnikov Eyes
  3. 3. Yr Zastava Acid Bride
  4. 4. Sorrow In A Pacifist Pillbox
  5. 5. De-Pleasurize Angel Guts EX
  6. 6. Lakeside Short Of Here ...
  7. 7. Blissfrog Heart Locket

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