Virtuos inszeniert Alex Ross Perry die Geschichte der Indierock-Legenden Pavement zwischen Doku, Biopic, Musical und Museumausstellung.
London (krl) - "You've been chosen as an extra / In the movie adaptation / Of the sequel to your life". Die filmreifen Zeilen mit denen Pavement einst den Chorus zu ihrer meisterlichen Single "Shady Lane", vorbereiteten, haben es im Grunde schon angedeutet: Die ultimative 90er-Indierockband aus Stockton, Kalifornien, würde irgendwann auch die große Leinwand erobern.
Doch anders als viele Biopic-Hits von "Bohemian Rhapsody" bis "Like A Complete Unknown" sträubt sich "Pavements" gegen vorhersehbare Erzählmuster. Auf den Spuren der subversiven Slacker-Band, die 2022 eine Reunion-Tour startete, entwirft US-Indie-Regisseur Alex Ross Perry ("Listen Up Philip", "Her Smell") ein formatüberschreitendes Panorama. So frei wie Pavements LoFi-Klänge und assoziative Lyrics seit 1989 in der Welt herumschwirren, so ausschweifend vermischen sich im Film die Genres von Rockumentary und Mockumentary mit denen von Biopic, Musical und Museumsausstellung.
"The stories you hear / You know they never add up": Vor einem blau verwaschenen VHS-Hintergrund setzen die Verse aus dem frühen Stück "Frontwards" das 128-minütige Bildermosaik in Gang. Zwischen alten verrauschten Aufnahmen und aktuellen Hochglanz-Mitschnitten schält sich ein ungefährer Leitfaden quer durch die Bandgeschichte heraus. Doch im Vorteil sind ganz klar Zuschauer:innen, die schon etwas über die Etappen des Quintetts um Sänger und Songwriter Stephen Malkmus gehört haben.
Experimentierfreude sprengt Formatgrenzen
Die zentralen Infos blitzen nur bruchstückhaft und beiläufig auf: Der Aufbruch mit "Slanted And Enchanted" im Jahr 1992; der Höhenflug mit dem melodischen Zweitwerk "Crooked Rain, Crooked Rain", das Hits wie "Gold Soundz", "Cut You Hair" und "Range Life" hervorgebracht hat; die Spannungsmomente rund um das experimentelle dritte Album "Wowee Zowee" und das Abschiedswerk "Terror Twilight" zum Ende des Jahrtausends. Alles nur kurze Notizen im hyperaktiven Strom der Bilder. Anders als in typischen Musikdokus gibt es auch so gut wie keine Einordnung durch Musikerkolleg:innen und Expert:innen. Kim Gordon von Sonic Youth sagt ein, zwei kluge Sätze.
Das Porträt, das Regisseur Perry als "semiotisches Experiment" bezeichnet, arbeitet kontinuierlich daran, Konventionen des Musikfilms zu dekonstruieren und in neue Kontexte zu stellen. Das überstrapazierte Grundprinzip, Musiker auf ein hohes Podest zu heben, konterkariert "Pavements" mit spitzbübischer Freude. Gleich zu Beginn werden die Indierock-Ikonen als "The World's Most Important & Influential Band" überzeichnet. Wenig später wird der Superlativ-Fokus komplett ad absurdum geführt: In einer frühen Archivaufnahme gelingt es Stephen Malkmus nicht einmal, sich selbst vorzustellen. Geduldig muss der Sänger – und das Publikum – darauf warten, bis ein lärmendes Flugzeug endlich vorbeigeflogen ist.
Der Hang zur ironischen Brechung multipliziert sich über die Ebenen des Biopics, Musicals und Museums, die allesamt eigens für den Film produziert wurden. Oft im Split-Screen angeordnet, lehnen sich die Präsentationen stark in den Mockumentary-Modus und wirbeln die Ebenen von Fakt und Fiktion wild durcheinander. Das kann mitunter überbordend und verwirrend erscheinen. Größtenteils aber gelingen kreative und komische Finessen, im besten Fall sogar neue Bezüge und Perspektiven. Ähnlich wie in Todd Haynes’ Bob Dylan-Vervielfältigung "I’m Not There" von 2007, gibt es Pavement nicht nur einmal. Stattdessen existieren viele Varianten, viele "Pavements".
Museum zwischen Traum und Absurdität
Indem Alex Ross Perry die Stockton-Slacker ins Museum stellt, parodiert er einerseits eine Musealisierung von Rockmusik. Andererseits imaginiert "Pavement 1933-2022: A Pavement Museum", was aus der exzellenten Band noch alles hätte werden können. Die Retrospektive einer "real and imagined history", die im Herbst 2022 tatsächlich ein paar Tage in New York stattfand und dann eine kleine Weltreise unternahm, umfasst neben echten Memorabilia wie Album-Artwork und Fanzines auch mehrere Pseudo-Exponate zwischen Traum und Absurdität.
Platin-Auszeichnungen und ein MTV-Mondmann, die Pavement allesamt nie erhalten haben, verorten die DIY-Band im Rockstar-Olymp. Gleichzeitig zeigt sich die Kehrseite eines Mainstream-Erfolgs in fingierten Werbeanzeigen für Apple und Absolut Vodka. Auf die Spitze getrieben wird die ironische Annäherung an einen Rock-Mythos über kuriose Fake-Relikte aus dem persönlichen Umfeld. Ganz nah an die Körper der Bandmitglieder reichen simulierte Ausstellungsstücke wie der Zehennagel des ersten Drummers Gary Young oder die schlammverschmierten Klamotten vom verhängnisvollen Lollapalooza-Auftritt am 3. August 1995.
Plötzlich Stars im Musical und Biopic
Pavements satirische Rahmung als absoluter Rock-Mythos steigert sich im Format eines Jukebox-Musicals. Zunächst scheint das Stück "Slanted! Enchanted!", das 2022 an zwei Dezember-Abenden im New Yorker Sheen Center aufgeführt wurde, überhaupt nicht zu Pavement zu passen und sorgt so für komische Momente. Diese allein hätten den Aufwand allerdings kaum gerechtfertigt. Vielmehr sorgt das Musical-Treatment für spannende Erkenntnisse: Je öfter die jungen Performer bei ihren Proben und Auftritten gezeigt werden, umso deutlicher wird, wie sehr die schroffen LoFi-Songs auf melodischen Pop-Qualitäten aufbauen. Mehrstimmig werden Lieder wie "Spit On A Stranger", "Major Leagues" oder "We Dance" als hymnische Hits erfahrbar. Hinzu kommt eine raffinierte Systemkritik, wenn das ambitionierte Musical-Ensemble subversive Zeilen wie "No more absolutes" ("Fin") oder "Attention and fame’s a career" ("Cut Your Hair“) mehrfach wiederholt.
Schlau und komisch zugleich präsentieren sich auch das Biopic "Range Life" und der Weg dorthin. Besetzt mit "Stranger Things"-Star Joe Keery aka Djo als Stephen Malkmus und Jason Schwartzman als Matador-Records-Mitbegründer Chris Lombardi, bilden die Mockumentary-Szenen das Herzstück der Rock-Mythos-Dekonstruktion. Dabei erscheint jedoch manche Pointe zum "big-budget Hollywood biopic" arg gewollt oder vorhersehbar: Seien es die "For Your Consideration"-Wasserzeichen, die den Oscar-Anspruch von Musiker-Biografien parodieren, oder die Sprachcoach-Sessions, in denen Keery den Ursprung des musikalischen Genies im Rachenraum des Sängers sucht.
"Hat es je einen guten Film über eine Rockband gegeben?"
Meistens allerdings setzt das Biopic clevere Akzente. Gleich zu Beginn irritiert der Film-im-Film die grundlegende Spannung zwischen Fakt und Fiktion. Direkt im Anschluss an echte Presseartikel, die selbstreflexiv die Entstehung von "Pavements" kommentieren, folgen Fake News: Die New York Times fragt: "Can The Quintessential Slacker Band Make It In The World Of Big-Budget Biopics?". In einem Vulture-Artikel überlegt Malkmus: "Ich bin mir nicht sicher, ob wir hätten zustimmen sollen. Hat es je einen guten Film über eine Rockband gegeben?". Gleichzeitig verkündet Keery: "Der Film wird im Grunde dem vorhersehbaren Verlauf eines Hollywood-Rock-Biopics folgen. Weißt du, so wie dieser Elton-John-Film, den ich im Flugzeug gesehen habe.".
Stark sind auch Momente, die Joe Keery bei der Vorbereitung auf seine Hauptrolle zeigen. Durch seine Recherchen wird der Schauspieler zum Tourguide durch die Bandgeschichte. Bei der Sichtung von Archivaufnahmen erscheint er sogar als Spiegelfigur der Zuschauenden. Besonders pointiert gerät die Parodie des Method-Acting-Ansatzes: Keery sorgt sich irgendwann um seine veränderte, knarrende Stimme und hat Probleme, wieder zu seiner eigenen Persönlichkeit zurückzukehren. Die wenigen Szenen, die vom Biopic selbst zu sehen sind, kehren gewitzt das Muster der Überdramatisierung hervor: "Wowee Zowee" wird zum herrlichen Streitthema zwischen Band und Label und das angespannte Nachspiel zum Lollapalooza-Auftritt scheint im parallel montierten Doku-Mitschnitt kaum vorhanden.
Musik für die Zukunft
Mit 128 Minuten ist "Pavements" mindestens eine halbe Stunde zu lang geraten. Entsprechend gibt es Momente, in denen der Film anfängt, stilistisch um sich selbst zu kreisen. Momente, in denen man gern etwas mehr Klarheit oder eigentliche Pavement-Musik bekommen hätte als nur Echos derselben. Doch insgesamt gelingt es Alex Ross Perry mit seinem "semiotischen Experiment" sehr gut, eine filmische Passform für die herrlich unangepasste Indierockband zu finden. Gerade die grenzüberschreitenden Qualitäten der Gruppe zwischen Lässigkeit, Komik und künstlerischer Raffinesse übersetzt Perry konsequent in einen kaleidoskopischen Musikfilm.
Jenseits enger Formatkonventionen beweist "Pavements", dass das Spektrum des Musikfilms noch lange nicht ausgereizt ist. Statt simpler Konservierung transportiert der experimentelle Film-Happening-Hybrid Pavements Musik auf erfrischende Weise in die Zukunft.
"Pavements", von Alex Ross Perry, 2024, 128 Minuten, als Stream verfügbar auf mubi.com.

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