Das neue Biopic von Scott Cooper beleuchtet das dunkelste Kapitel des Sängers. Der Boss war hinter den Kulissen zu Gange.
Berlin (jmb) - Der Strom an Biopics reißt nicht ab. Nach Amy Winehouse, zwei Bob-Filmen (Marley und Dylan) folgt nun eine Hommage an "The Boss". Und wieder einmal standen Regisseur und Schauspieler vor einer eigentlich unmöglichen Aufgabe: Einer kulturellen Ikone gerecht zu werden. Eigentlich sei "Springsteen: Deliver Me From Nowhere" gar kein klassisches Biopic, sagt Regisseur Scott Cooper bei der deutschen Filmpremiere in Berlin, eher eine Momentaufnahme. Die Handlung basiert auf dem 2023 erschienenen Buch "Deliver Me From Nowhere: The Making of Bruce Springsteen's Nebraska" von Warren Zane.
"Bruce sagte zu mir: Die Wahrheit über einen selbst ist nicht immer schön", kommentierte Cooper, der auch das Drehbuch schrieb. Er hoffe, dieser Wahrheit mit dem Film gerecht zu werden. In die Hauptrolle schlüpfte Jeremy Allen White ("The Iron Claw", "The Bear"), mit dem Segen von Bruce höchstpersönlich. Der Boss soll die Dreharbeiten oft besucht haben. Sein erster Eindruck von White: "Verdammt, seit wann sehe ich denn so gut aus?"
Der Mann, der Mythos, die Legende
Wenn eine Person zum Weltstar aufsteigt, wird sie mit der Zeit zum Mythos, zum Symbol. Ein Land, das zahlreiche solcher Phänomene hervorgebracht hat, ist die USA. Springsteen hat 20 Grammys im Regal stehen. Er ist einer der großen Superstars des letzten Jahrhunderts. Als kulturelle Ikone ist er so amerikanisch wie Coca Cola, Blue Jeans und der Kampf zwischen Gut und Böse. In dem Sänger schmelzen all diese Dinge zusammen. "Born In The USA", oft missverstanden als "Amerika ist geil"-Hymne, bringt seine gemischten Gefühle über sein Heimatland zum Ausdruck. Allein über die Bedeutung und Entstehungsgeschichte dieses Songs hätte man einen eigenen Film drehen können. Oder über "Born To Run", oder "Hungry Heart". Doch Cooper entschied sich für "Nebraska", das introspektivste, vielleicht mutigste Kapitel in Springsteens Biografie. Der Soundtrack des Albums stammt aus der Feder von Jeremiah Fraite (The Lumineers). Jeremy Allen White covert Springsteen Songs selbst und lernte eigens für den Film Gitarre.
Gleich zu Beginn geben flashback-artige Schwarzweiß-Szenen einen Eindruck von Springsteens traumatischer Kindheit, ohne Triggerwarnung. Sein Vater Douglas ist Alkoholiker und schlägt seine Frau und Kinder. Ihm gefällt es nicht, dass Bruce nach seiner feinfühligen Mutter kommt, die mit ihm im Wohnzimmer tanzt. "Deliver Me From Nowhere" kontrastiert zwei Formen von Männlichkeit: Bruce, der empfindsame Beobachter, und Douglas, der patriarchale Gewalttäter. Doch obwohl Bruce selbst nie gewalttätig wird, begegnet ihm die Gewalt immer wieder im Inneren. Depressionen begleiten ihn sein ganzes Leben. Die frühen Erfahrungen mit emotionalem Missbrauch umrahmen die Entstehungsgeschichte des Albums "Nebraska".
Unerwartet schlicht
Das Album entsteht 1982 an einem Januarabend im Schlafzimmer des Sängers in New Jersey. Die Songs nimmt Bruce mit einem Kassettenrecorder auf, zu hören sind Gitarre, Gesang und ein Glockenspiel. Die Lieder handeln von Gewalt, von Mord und Totschlag, und von seinem Vater ("My Father's House"). Anders als seine energiegeladenen Stadionshows wirkt das Album überraschend melancholisch. Bruce legt fest, dass es ohne PR-Termine, Ankündigung, Marketing oder Tournee veröffentlicht werden soll: Ein Bruch mit allen Konventionen des Musikbusiness.
Nach seinem großen Durchbruch, sieben Jahre zuvor, ist Bruce das Leben als Superstar spürbar über den Kopf gewachsen. Um seine mentale Gesundheit steht es nicht gut, er gerät ins Rudern. Sein Manager Jon Landau versucht immer wieder, dem Sänger mit einem hohen Maß an Einfühlsamkeit und Verständnis zu begegnen. Doch das ist alles andere als einfach. Denn Bruce trifft Entscheidungen, persönlicher sowie künstlerischer Natur, die zu dieser Zeit von außen nur sehr schwer nachvollziehbar scheinen.
Er ist kaum wiederzuerkennen. Allein seine Lederjacke erinnert daran, dass Bruce eigentlich mehr ist als ein verloren wirkender junger Mann. Bruce, die Rampensau, kommt nur gelegentlich zum Vorschein: Er jammt mit Freunden im Stone Pony, einem kleinen Club in Jersey Shore. Dort erlebt man ihn in seinem Element. Es ist schließlich der Ort, der ihm seinen Spitznamen "The Boss" einbrachte. Doch gefühlt die Hälfte des Films begleiten wir den Sänger schweigend in seinem Auto, schweigend in seinem Zimmer, Gitarre klimpernd, mit den Nerven am Ende. Auffallend abwesend sind Alkohol und Drogen, die sonst zum Klischee des zerrissenen Rockstars gehören. Springsteen betonte in Interviews immer wieder, dass er nie auf diesen Zug aufgesprungen sei.
Doch er zieht sich immer weiter zurück. Seine Beziehungen beginnen darunter zu leiden. Im Film beginnt Bruce eine Affäre mit Faye (fiktiver Charakter), einer alleinerziehenden Mutter, die viel lacht und Bruce mit ihrer unerklärlichen Leichtigkeit verzaubert. Sie ist das archetypische "Manic Pixie Dream Girl": Eine blonde Muse, die Bruce dazu inspiriert, an sich zu arbeiten, während sie selbst am Ende des Films herzzerbrochen zurückgelassen wird. Ihre Mission ist schließlich erfüllt. Bruce reflektiert seinen problematischen Umgang mit Frauen in seiner Autobiografie "Born To Run" (2016). Darin spricht davon, dass die Angst, jemanden in sein Leben zu lassen, der ihn liebt jedes Mal "eine Unzahl von Alarmglocken und eine heftige Reaktion auslöste".
Die Geister der Vergangenheit
"Deliver Me From Nowhere" zeigt Bruce als einen von frühem Ruhm verwöhnten Musiker, der sich in seiner Zerrissenheit gefällt und nur widerwillig bereit ist, Verantwortung für sein mentales Wohlbefinden und dessen Auswirkungen auf andere zu übernehmen. 1981 erlebt Bruce schließlich einen Nervenzusammenbruch und geht auf das Drängen seines Umfelds zu einem Psychologen. Er gewinnt wieder Boden unter den Füßen, konfrontiert seine Vergangenheit. Als Schlüsselmoment seines Heilungsprozesses dient die Szene, in der der erwachsene Bruce in das Schwarz-Weiß-Szenario seiner Kindheitserinnerung tritt und seinem Vater als Mann begegnet. Er ist nun nicht mehr ein schutzbedürftiger Junge, der sich ausgeliefert fühlt, sondern eine starke Persönlichkeit, die für sich selbst einstehen kann. Auch im echten Leben kommt es zu einem versöhnlichen Moment zwischen Vater und Sohn, als dieser zu einer unerwarteten Selbsterkenntnis gelangt.
Ende gut, alles gut? Wer sich mit Bruces Geschichte auseinandergesetzt hat, weiß, dass er auch Jahre danach noch in Therapie war und dass dieser Durchbruch nur den Anfang eines langen, steinigen Weges markierte. Das Filmende verklärt seinen inneren Heilungsprozess ein wenig, driftet teils gar ins Kitschige ab. Als Ganzes macht der Film jedoch Springsteens notwendigen inneren Wandel glaubhaft.
Die Ruhe vor dem Sturm
Das Ringen mit den Geistern der Vergangenheit stellte die Weichen für Springsteens musikalische Zukunft. "Nebraska" hielt sich 32 Wochen auf Platz drei der US-Albumcharts, und das ganz ohne den üblichen PR-Rummel. Der Nachfolger "Born In The USA" sprengte alle Rahmen seiner bisherigen Karriere. Und wer weiß, vielleicht wäre diese ohne das meditative Innehalten von "Nebraska" nicht so grandios verlaufen?
"Springsteen: Deliver Me From Nowhere" ab heute im Kino. 120 Minuten. FSK 12.
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