Trauma, Depression und Drogensucht: Die Dokumentation über den Offenbacher Rapper ist kaum zu ertragen.
Offenbach (dani) - Show-Mitschnitte mit ausrastenden Menschenmassen, Interview-Schnipsel, in denen namhafte MC-Kollegen den Protagonisten zum größten Rapstar aller Zeiten hochjazzen (mindestens!), als harter Kontrast: eine nah am Wasser gebaute Ehefrau ... was man von dieser Dokumention vorab so zu Gesicht bekam, roch nach Drama und Größenwahn, und es erschien schon reichlich aufgeblasen. Die ganze Aufmachung von "Babo - Die Haftbefehl Story" wirkte, als wolle man mit aller Gewalt in irgendeinem internationalen Vergleich mithalten. Obendrein plärrt der Trailer: "Seht her! Wir haben Budget!"
Seit gestern läuft der Film auf Netflix. Eineinhalb Stunden Laufzeit später fühle ich mich, als hätte mich ein Bus überfahren, wenn auch aus ganz anderen Gründen als erwartet. Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass mir die Geschichte eines Typen dermaßen nahegeht, den ich unverändert weder herausragend begnadet noch besonders sympathisch finde.
Triggerwarnung: Kaum zu ertragen
Dieser Dokumentation hätte man eine Triggerwarnung vorausschicken sollen, oder besser gleich einen ganzen Strauß davon, Obacht! Solltet ihr euch gerade in fragiler Verfassung befinden: Passt gut auf euch auf. Ihr bekommt es hier mit versuchten und vollendeten Suiziden zu tun, mit über Generationen weitergegebenen Traumata, mit exzessivem Drogenkonsum und damit, was all das bei den Betroffenen und in ihrem engen Umfeld anrichtet. Dieser Film ist harte Kost, und er lässt sich stellenweise kaum ertragen.
Als Regisseure verantwortlich zeichnen Sinan Sevinç und Juan Moreno. (Der Name des letzteren könnte einem bereits im Nachrichtenmagazin Spiegel begegnet sein: Er war der Autor, der die Betrügereien seines Kollegen Claas Relotius auffliegen ließ.) Auf das "Babo"-Projekt angesetzt wurde Moreno von Elyas M'Barek, der als Produzent fungiert. Haftbefehl soll ursprünglich mit der Idee eines autobiografischen Spielfilms auf den Schauspieler zugekommen sein, in dem selbiger Anhans Vater hätte verkörpern sollen. Allerdings fand M'Barek wohl Haftbefehls Drehbuch lausig und schlug statt dessen vor, eine authentische, ungeschönte Dokumentation zu drehen.
Unschön ist sie tatsächlich geworden, aber auch lohnend, wenn man sich dem Menschen Aykut Anhan wirklich nähern möchte: Zwei Jahre lang haben die Filmemacher den Rapper mit der Kamera begleitet und auch in den schlimmsten Momenten gnadenlos draufgehalten. "Mir gehts gut", sagt Anhan zur Begrüßung. Seine ganze sichtlich mitgenommene Erscheinung verrät jedoch das Gegenteil. Er keucht, raucht nervös, wirkt zappelig und fahrig, aber er hat eine Motivation: "Warum ich hier bin? Wenn mir irgendwann was passiert: dass meine Geschichte richtig erzählt wird, aus meiner Sicht."
Man hätte die Story leicht zum glitzernden Märchen verklären können, handelt es sich doch um klassisches Rags-to-riches-Material. Ein Junge schafft es aus dem Offenbacher Problemviertel heraus, von ranzigen Jugendzentren auf die größten Bühnen des Landes, aus dem Hochhaus im Mainpark ins schnieke Eigenheim im schwäbischen Spießerparadies, von der Straße in ein Frühstücksflocken-Reklame-Idyll. Jedoch: "Mein Leben ist keine Kellogs-Werbung", sagt Haftbefehl. "Ich kann niemals der Vater aus der Kellogs-Werbung sein", auch wenn seine Kinder wahrscheinlich, seine Frau ganz sicher und am allermeisten vielleicht er selbst sich nichts sehnlicher zu wünschen scheinen.
Schluss mit lustig
Haftbefehl mag einer der erfolgreichsten Rapper dieses Landes sein. Aykut Anhan allerdings ist ein todtrauriger, gequälter, gebrochener Charakter, ein Opfer der Umstände und der Tonnen von Koks, die er sich die Nase hochgezogen hat, bis davon nur noch eine blutende Ruine übrig blieb. "Aykut war lustig", erinnert sich einer seiner beiden Brüder zu Beginn. "Der war immer schon ein Entertainer." Am Ende lässt er den inzwischen gar nicht mehr lustigen Aykut einweisen, weil er sich (und vor allem seinem Bruder) anders nicht mehr zu helfen weiß.
Dazwischen spielt sie sich ab, "die Haftbefehl Story", und der Titel "Babo" könnte treffender nicht gewählt sein. Nicht nur verweist er auf den Hit, der den Rapper zum Superstar (und zum Meme) machte. "Babo" bedeutet im Kurdischen zudem "Vater", und genau darum kreist die ganze Erzählung. Wir erfahren eine ganze Menge über Aykuts Vater, einen autoritären Mann, einen zwielichtigen Geschäftemacher, einen Spieler, obendrein ganz offensichtlich psychisch krank. Der Suizidversuch, den sein Sohn vereitelt, bleibt nicht der einzige. Als Aykut 14 ist, nimmt sich sein Vater erfolgreich das Leben.
Traumatisiert, wütend, überfordert
Zurück bleibt ein traumatisierter, wütender, von Grund auf überforderter Junge, der das Erlebte niemals aufarbeitet und deswegen dazu verdammt zu sein scheint, die Fehler zu wiederholen. Er, der unter der Abwesenheit seines Vaters gelitten hat, ist im Leben seiner eigenen Kinder ebenfalls kaum präsent. Er lebt, wie einer seiner Wegbegleiter es nennt, "das Rockstar-Life", während seine Frau mit den Kindern zu Hause sitzt. Die übermenschliche Kraftanstrengung, die es kostet, einem Menschen, den man liebt, dabei zuzuschauen, wie er sich zugrunde richtet, dabei zwei Kinder großzuziehen und sie von dem ganzen Schmerz und dem Wahnsinn möglichst abzuschirmen, ist Nina Anhan in jeder Minute anzumerken.
Aykut Anhan weiß um sein Versagen in der Vaterrolle, das wird vor allem in einer wahrhaft gespenstischen Szene deutlich, in der er vor einem Familienfoto sitzt. Zunächst deutet er zärtlich auf seine beiden Kinder, dann weist er auf sich, krächzt: "Das ist der Dreck." So, wie er da hockt, fern der Heimat, ein hustendes, röchelndes, dabei bizarrerweise einen Song von Reinhard Mey lallendes Drogenwrack, kann man ihm noch nicht einmal wirklich widersprechen. Falls jemand ein warnendes Beispiel dafür braucht, was jahrzehntelanger Kokainkonsum aus einem Menschen macht: Hier hätten wir ein ziemlich abschreckendes.
Freudlose Würstchenparty
Xatar, Jan Delay, Kool Savas, Marteria, Moses Pelham, Bausa, Peter Fox, Bazzazian ... alle suhlen sich in Interview-Einspielern in Superlativen und preisen Haftbefehl als Übermensch-großen Künstler, als Rap-Gott, einen der, wenn nicht DEN Größten, naja. Alles für die Fallhöhe, schätze ich. Auch wenn ich die Begeisterung nach all den Jahren immer noch nicht teilen kann, versteh' ich dennoch, was Liz meint, wenn sie sagt: "Er ist unsere Stimme. Vorher hat uns niemand gehört."
Neben Nina Anhan ist Liz übrigens die einzige Frau, die zu Wort oder überhaupt nur vorkommt: Haftbefehls Umfeld scheint tatsächlich eine einzige Würstchenparty zu sein, eine ziemlich freudlose noch dazu. Es sieht wirklich überhaupt nicht nach Spaß aus, wie sich der Rapper da mit infolge zerfressener Nasenscheidewand triefendem Zinken auf die Bühne schleppt, so er denn überhaupt auftaucht. Dass das keineswegs selbstverständlich ist, davon berichten diverse Booker, Promoter, Produzenten, die Haftbefehl wiederholt hängengelassen hat.
Was bleibt?
"Wenn ich jetzt sterbe: Was wird dann bleiben?", fragt sich der Porträtierte am Ende, mehrere Überdosen, eine Entmündigung, eine Einweisung und viele Therapiestunden später. "Wird Haftbefehl, der Junkie, bleiben? Oder wird Haftbefehl, der Musiker, bleiben?" Nach dem Verbleib von Aykut Anhan, dem Ehemann und Vater, fragt er gar nicht erst. Dass er den offensichtlich schon abgeschrieben hat: vielleicht das Deprimierendste an dieser endlos deprimierenden Geschichte.









3 Kommentare
Habs gestern geguckt, danach war an Schlaf erstmal nicht zu denken. Wirklich harte Kost und erschütternd, was aus dem Kerl geworden ist. Man kann ihm nur wünschen, die Rolle als endgültig zu den Akten zu legen, sonst macht er nicht mehr lange.
Die überhöhten Superlative der Musikerkollegen waren für mich auch ziemlich drüber (das einzig durchgehend starke Album ist mmn. Russisch Roulette), aber ansonsten ist die Doku wirklich gut gemacht, weil Gott sei Dank kein glattgebügelter Imagefilm daraus wurde sondern das exakte Gegenteil. Ob einem dieser ungeschönte Blick auf einen kaum zurechnungsfähigen Menschen zu voyeuristisch ist, muss man selbst entscheiden.
Gestern angeschaut, es war was krass erschütternd zu sehen was familiäre Umstände, Trauma und Sucht aus einem Menschen machen können. Sollte er jemals wieder richtig auf die Spur kommen hoffe ich für ihn das es abseits der Bühne stattfindet. Ganz klar 'ne 5/5.
Klingt deprimierend. Hab jetzt auch eher die stanni Huldigungsdoku erwartet.
Die Gzuz-Doku fand ich btw auch erstaunlich gelungen, der Typ kann echt froh sein, dass seine Frau ihn so gut erdet und die Familie im Griff hat. Wie respektlos er teilweise mit seiner Tochter redet, bizarr