Der 47. Grand Prix d'Eurovision in Tallinn geriet zum tragischen Debakel für Ralph Siegel und seine Sängerin Corinna May. Als Favorit gehandelt, erlebte ihr Beitrag "I Can't Live Without Music" einen dermaßen katastrophalen Absturz, dass selbst NDR-Urgestein Peter Urban sprachlos blieb.
Tallin (stj) - In der Endabrechnung waren es ganze 17 Zähler und der enttäuschende viertletzte (21.) Platz. Da auch andere große Schlager-Nationen wie Großbritannien und Frankreich Federn lassen mussten, dominierten die Geheimtipps Lettland und Malta das Geschehen. "Der Grand Prix hat seine eigenen Gesetze." Jene legendäre Phrase von Dieter "The One And Only" Bohlen hat jetzt auch Corinna May am eigenen Leib erfahren. "Die Grand Prix-Regeln sind ganz andere als bei normalen Charts", so die 31-Jährige nach der deutlichen Niederlage. Jene ominösen Gesetze gehörten dann auch nicht zu Corinnas Stärken.
Denn im Popvideo-Zeitalter spielt das visuelle Prinzip eine entscheidende Rolle. Und da hat die steife Bremerin einigen Nachholbedarf. Selbst der diskriminierende Blindenbonus und die mit Abstand ausdrucksstärkste Stimme konnten ihr bei einer solch stümperhaften und unrhythmischen Choreographie nicht mehr helfen. Ganz anders dagegen die Top Drei des diesjährigen Wettbewerbs, bestehend aus Malta, Gastgeber Estland und allen voran Baltikum-Nachbar Lettland mit der Siegerin Marija N, die mit einer Art Revue der 20er Jahre für Begeisterung sorgte. Zuerst im adretten Matrosenanzug am Start schockte sie die Männerherzen, als sie auf einmal im sexy rosa Abendkleid dastand. Dagegen blieben selbst die treibenden Latinorhythmen ihres Songs "I Wanna" eher blass. Einen ähnlichen Charme und Sexappeal versprühten die Malteserin Ira Losco sowie die für Estland startende Schwedin Sahlene, welche uns in weißen Stiefeln, Rock und engem Top über stimmliche Schwächen gönnerhaft hinweg sehen ließ.
Doch auch für die weiblichen Zuschauer wurde Oberflächliches geboten. Aus Zypern und Russland kamen hübsche aber unfreiwillig komische Boygroups. Österreich schickte mit Manuel Ortega einen Schmalspur-Ricky Martin ins Rennen.Wer nicht auf sein Aussehen setzte, der versuchte es halt wie die Griechen oder Mazedonier mit einer musicalmäßigen Präsentation und landete trotz Anti-Mainstream-Exotik immer noch vor Corinna. Selbst die lustigen Transen aus Slowenien kamen wesentlich sympathischer rüber. Unterm Strich muss man also kein Prophet sein, um deutschen "Countdown To Tallinn"-Teilnehmerinnen wie Zarah, Natalie oder Isabel ein besseres Abschneiden zu unterstellen. Von der im Popbusiness abgehärteten Kelly Family ganz zu schweigen.
Und so endete Siegels 16. und letzte Teilnahme mit einer grandiosen Pleite, welche die ehrwürdige Liste deutscher Grand Prix-Flops fortsetzt. Zuerst gab sich der gute Ralph ja noch als fairer Verlierer, als er betonte: "Die Welt geht nicht unter. Die Gewinnerin hat ein lustiges Lied präsentiert." Doch dem Münchener Merkur gegenüber zog er dann ordentlich vom Leder - auch Corinna gegenüber. Der ganze Auftritt klang wie "Arsch und Friedrich". Der Chor sei "schwach" gewesen und der ganze Sound war einfach nur "grauenhaft". Es sei einiges nicht so gelaufen, wie es sollte: "Da kamen mehrere Dinge zusammen". Kein Wort zwar über fehlende ansprechende Optik oder die Qualität seines Songs - aber auch der betagte Produzent weiß: "Die Zeiten ändern sich."
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