Wie Dampfwalzen, die über die Fans hinweg rollen: die Headlineshow zweier ikonischer 90er-Bands.
München (csl) - "Bobby Hambel hat mich umarmt ..." Mein zentraler Satz an diesem Abend im Münchener Backstage. Zunächst einmal, weil es die Wahrheit ist. Vor allem aber, weil dieser Konzertbericht nicht im Entferntesten neutral ausfallen kann, da der Rezensent einfach nur ein Fanboy ist. Allerdings ein Fanboy, der es 32 Jahre verpasst hat, Biohazard, seine 'Coming of Age'-Band live zu erleben. Und so singt, tanzt und schubsrumpelt da sehr oft ein 15-Jähriger, was nicht unbedingt der perfekte für eine Review darstellt. Oder doch?
Aber von vorne: Während die Vorband LYLVC loslegt, eine runde New-Metal-Band mit gewohnt bunten Charakteren und dieser Mischung aus Raps, Synthieklängen und auf die Zwölf, taucht plötzlich Bobby Hambel, der Gitarrist von Biohazard im Publikum auf - absolut unbehelligt, wenn auch vermutlich oft erkannt. Als ich meine Begleitung auf Hambel hinweise und immer wieder einen verstohlen Blick auf ihn werfe, meint sie irgendwann: 'Jetzt geh' doch endlich mal zu ihm rüber!'
Bobbby Hambel sieht mich an
Als Produkt der Crossover-Blase in den frühen Neunzigern weiß ich natürlich: Das macht man eigentlich nicht! Übertriebenes Fangehabe war unserer Subkultur fremd. Doch der Gitarrist steht zum Glück in der Nähe eine Bar. Und auf dem Weg dorthin passiert es: Er blickt mich an, was an dem Onyx-Shirt liegen mag, das ich trage. Die New Yorker Hip Hopper sind bekanntermaßen mit Biohazard befreundet. Nach ein paar gewechselten Worten umarmt er mich tatsächlich - und von diesem Moment an kann nichts mehr schief gehen! Der Abend ist eingetütet. Emotional.
Ein in Brooklyn aufgewachsener, vom Leben gezeichneter Mensch mit harter musikalischer Visitenkarte, der einen umarmt, kann durchaus als Sinnbild für die frühen Neunziger verstanden werden, in der die beiden Headliner heute Abend ihre Bekanntheit erlangten. Entsprechend besteht das Publikum hauptsächlich aus Mitt- bis Endvierzigern, ausgestattet mit dem porentief verankerten Bewusstsein, diese Zeit selbst miterlebt zu haben - die auf Textil zur Schau getragenen Bands heißen Cro-Mags, Pro Pain, Sepultura oder Dog Eat Dog.
Zweimal Brooklyn auf die Ohren
Und so wundert es kaum, dass der erste, lautere Track, der Life Of Agony ankündigt, von House Of Pain stammt (am Ende des Konzerts schallen dann Beastie Boys aus den Boxen). Der vielleicht einzige Wermutstropfen an diesem Abend wird sein, dass sowohl Life Of Agony wie Biohazard ihre Sets ohne Zugaben spielen.
Bei Ersteren hält nicht zuletzt Drummerin Veronica Bellino, seit 2018 Teil der Band, den Laden zusammen. Das Publikum hat Spaß, surft die Crowd und pogt, während Life Of Agony ein tadelloses Set abliefern. Die Band verzichtet auf Songs nach der Jahrtausendwende, und so kommen besonders das Debüt "River Runs Red" von 1993 sowie die beiden Nachfolgealben "Ugly" und "Soul Searching Sun" zu Ehren. Zudem widmen sie Biohazard das Cro-Mags-Cover "We Gotta Know". Gitarrist Joey Z erinnert noch an den 2010 verstorbenen Type O Negative-Sänger Peter Steele.
Von "Urban Discipline" zu "State Of The World Address"
Biohazard touren erst seit knapp zwei Jahren wieder in Originalbesetzung, erstmals seit 2003. Und auch sie konzentrieren sich auf die Anfangsphase ihrer Karriere: Die Zeit nach "Urban Discipline" bzw. "State Of The World Address" wird quasi ausgespart. Das "State Of The World Address"-Cover bzw. das dort abgebildete Kind mit Gasmaske prägen sowohl das Bühnenbild als auch den Merch-Stand. Tracks wie "Each Day” und "Five Blocks To The Subway" mähen entsprechend durch den Raum, doch noch mehr liegt der Fokus auf "Urban Discipline", veröffentlicht 1992.
"Shades Of Grey", “Black And White And Red All Over", "Business", das obligatorische "Punishment", der Titeltrack, das Bad Religion-Cover "We're Only Gonna Die ...", aber auch das brandneue "Forsaken": Biohazard fegen wie eine Dampfwalze und aus einem Guss über das Publikum hinweg. Dieses Set plättet komplett. Und so meckert am Ende eigentlich auch niemand, dass er ohne Zugabe nach Hause gehen muss.
Text: Christian Schmitz-Linnartz.
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