Die Band aus Santa Fe spielt an diesem Wochenende drei ausverkaufte Konzerte im Tempodrom: eine diesseitig wuchtige Erfahrung.

Berlin (maxi) - Fünf Jahre sind eine lange Zeit. 2019 standen Pandemie, Ukrainekrieg und die Eskalation des Nahostkonflikts erst noch vor Haustür, die Welt war eine bessere. Auch deshalb, weil Beirut damals ihr Album "Gallipoli" veröffentlichten. Die zugehörige Tour entpuppte sich gleichwohl als Desaster: Der kreative Kopf und Sänger des Projekts, Zach Condon, zog sich eine so gravierende Kehlkopfentzündung zu, so dass er sie abbrechen musste. Ein Arzt hatte ihm offenbart, dass er seine Stimme für immer ruinieren könnte, würde er weitere Konzerte spielen.

Nun, fünf Jahre später, spielten Condon und Band gestern das zweite von drei restlos ausverkauften Konzerten im Berliner Tempodrom. Eigentlich hätte dieser Abend der einzige sein sollen, doch Condons Verknappungstaktik zwang die Band, zwei Zusatzkonzerte anzusetzen: Der US-Musiker tourt nur ungern, weshalb er das aktuelle Album "Hadsel" einzig und allein an seinem Wohnort Berlin präsentiert – vor zusammengerechnet 10.500 Zuschauer:innen: "Second night!", ruft ein Fan nach den ersten Stücken in die Stille. "Second night, and I still don't know what to say"”, antwortet der Sänger nuschelnd, das Hemd sorgfältig in die Blue Jeans gesteckt. Nach jedem Song streicht er sich Strähnen seines dichten, lockigen Haares aus dem Gesicht.

Eine diesseitige Wucht

Das Tempodrom bietet mit dem hoch aufschießenden und spitz abschließenden Dach die optimale Bühne für den kraftvollen und doch nuanciert spielerischen Sound der Gruppe aus Santa Fe. Das Gauklerhafte passt ins stilisierte Zirkuszelt. Condon und Band, zu diesem Anlass erstmals um drei Streicher:innen ergänzt, spielen Songs aus allen Evolutionsstufen des Projekts. Live klingt das, wie bei Beirut üblich, diesseitiger und lebendiger als auf Platte. Das Instrumentale dröhnt beim Cover "Serbian Cocek" oder dem Opener "The Shrew" mit einer ganz anderen Wucht. Doch auch die drückende Schwermut, die zu dieser Musik gehört wie die charakteristische Trompete, breitet sich in Stücken wie dem Goran Bregovic-Cover "Ederlezi", "The Rip Tide" und dem Überhit "Nantes" wirkmächtig aus.

Welche Stimmung die Amerikaner, deren Drummer und Bassist immer dann emsig grooven, wenn sie gebraucht werden, vor allem erzeugen: die überbordende Reaktion des Publikums. Ein Drittel, schätzt Condon, sei gar nicht aus Berlin. Gut möglich, stand der heutige Termin doch als erster Fest. Beim Auftakt am Donnerstag zitterte der Musiker noch und räumte seine Nervosität ein. An diesem Abend spricht er bis auf kurze Danksagungen kaum, bewegt sich aber souverän über der Bühne. Ob er das Konzert aber so genießen kann wie die über 3.000 Anwesenden, ist schwer zu sagen. Condon plagten und plagen Angststörungen und Depressionen, die auch die musikalische Ausrichtung des aktuellen Albums beeinflusst haben.

Wird Macklemore in der Hölle schmoren?

Dessen feierlichen Titeltrack spielen Beirut etwa zur Mitte des Sets, ganz in der Nähe von Ukulele-getriebenen Hits wie "Postcards From Italy" und "Elephant Gun" oder dem Banger "Santa Fe", der Sitzende von den Stühlen reißt und zu Tanzbewegungen der alten Radio Eins-Schule animiert: Langsam wackelnd, ausgreifend und voller Überzeugung, das Richtige zu tun. Bei "Scenic World", für dessen Schändung Macklemore ziemlich sicher in der Hölle landen wird, machen Teile des Publikums von ihren Handylampen Gebrauch: Ein kitschiger Moment, den man nicht missen will.

Auch das Bühnenbild beeindruckt: Die Bandmitglieder stehen zwischen kargen, vielleicht schon toten Bäumchen und bilden einen Kontrast zum opulenten Klang, den Condon und die insgesamt acht Musiker:innen, die teils in unterschiedliche Rollen schlüpfen, erzeugen. Im Hintergrund öffnen sich dazu weiße Türen, Bilderrahmen und andere rechteckige Formen, die sich immer wieder verschieben und modulieren. Links und rechts tauchen massive Strahler, wie durch einen kleinen Türspalt, mal die linke, mal die rechte Seite des Tempodroms in buntes Licht.

Beirut geben zwei Zugaben, die bekanntesten Songs waren schon im regulären Set untergebracht, nun bricht die Zeit der weniger offensichtlichen Schätze an: Da wäre das grandiose "In The Mausoleum" vom Album "The Flying Club Cup", das die Bedeutung der Streicher:innen nochmals untermauert. Oder "The Gulag Orkestar" vom fast gleichnamigen Debütalbum, dessen Theatralik auch heute noch mitreißt. Pop, der sich verschiedenste Musikkulturen respektvoll, aber mit einer bemerkenswerten Naivität aneignet. Danach ist endgültig Schluss, verständlich, für morgen muss die Kraft ja auch noch reichen.

Von Max Fritz.

Fotos

Beirut

Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal) Beirut,  | © laut.de (Fotograf: Dariusz Misztal)

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1 Kommentar

  • Vor 10 Monaten

    Yippie, ich war dabei am 16.02.2024 im Tempodrom. Schon um 17 Uhr musste ich magisch probieren ob ich ein paar Töne vorweg von Aussen hören kann. Dabei bin ich eine 58Jahre alte Schachtel, die sich aber an dieser echten Musik so sehr erfreut. Warum ist das so? Ich war immer ein Fan von Ivan Rebroff, (Kate Bush, Thoss Tanz Kompanie) und da stellt sich mir die Frage, gibt es krasse Gemeinsamkeiten und wo sind die Unterschiede.
    Gemeinsamkeiten sind die Vergangenheit der Familien lag im Osten Europas, (auch die meiner Familie -in Breslau-). Flucht und Vertreibung ist auch gemeinsam. Es ist fast als zögen mich die Töne magisch an. Während Beirut ihre Musik auf wundervolle einsetzende Trommeln, und andere Instrumente fokussiert, war Ivan Rebroff ein begnadeter Sänger der die Bühne liebte. Er konnte seine Stimme perfekt beherrschen, und er liebte das Leben.
    Da habe ich mich immer gefragt was er macht, um es so zu lieben und habe es auch Gottseidank live auf Skopelos selbst gesehen.
    Der Sänger von Beirut spielt das Leben mit Instrumenten und seiner wundervollen Stimme schön, auch wenn er es nicht immer liebt, das Leben.

    Es war ein sehr berührendes Konzert im Tempodrom, es hat mich voll erfüllt. Sehr dankbar bin ich, das ich eine Karte bekommen habe. Nun schade, das die 2 sich nie treffen werden, denn so unterschiedlich sie waren, sie hätten sicher voneinander profitiert, denn sehr sensibel sind Beide.
    Um sie zu mögen muss sich keiner von Beiden ändern.
    Mit Beirut habe ich ein ganz tiefes wunderschönes Musikerlebnis gehabt. DANKE SCHÖN.
    Und ein Danke an die Frau aus Berlin die sich um den Sänger gekümmert hat. :-)