Auf dem dänischen Event kann man viel über die heutige Musikbranche lernen. Wir sagen, warum.
Aarhus (lau) - An einem Samstag vor zwei Wochen, zehn Uhr morgens. Im Bowlingcenter Aarhus serviert das Musik-Exportbüro Dänemarks geladenen Gästen Frühstück und Bier. Vor trashiger 90s-Kulisse trifft ein Haufen Fremder aus aller Welt zusammen, um bei ein, zwei Runden Bowling das Eis zu brechen - Networking.
Und es funktioniert auch: Die zuvor durchlebten Festivaltage liefern schließlich genügend Gesprächsstoff den Must-See-Tipp nahm an angesichts des weitgehend unbekannten Newcomer-Lineups gerne an. Bald ist die Atmosphäre locker genug, dass der schamvolle Moment im Mittelpunkt - nach wiederholt versemmelten Würfen - halbwegs erträglich wird. Das Konterbier treibt den Delegates die Müdigkeit der vergangenen vier Tage aus den Knochen. Panels, Keynotes, Meet-Ups, Speeddatings - und ab dem Nachmittag Konzerte. Viel war los. Let's get down to business.
Hotspot der Musikindustrie
Bei vielen Musikfestivals geht es längst nicht mehr um Musik allein. Sie bleibt zwar Anlass, aber nicht mehr unbedingt der eigentliche Zweck: Sehen und gesehen werden. Happening. Saufgelage, einige sind auch Imageplattformen für Marken. Das SPOT Festival ist dagegen auch Businesstreff - und gehört zu einer Riege europäischer Showcase-Festivals, die einen Mehrwert für die Branche bieten. Von 60.000 Selbstständigen allein in der deutschen Musikbranche sprach der Bundesverband Musikindustrie 2015. Irgendwo müssen die schließlich zusammenkommen - sei es auf dem Reeperbahnfestival, auf dem Eurosonic Noorderslag oder auf dem SPOT Festival.
Expertise statt Rock'n'Roll
Den formalen Rahmen bildet die SPOT+ Konferenz. Jedes Jahr nimmt sie neue Branchenthemen in den Fokus. In den Morgen- und Mittagsstunden der Festivaltage referieren und diskutieren WissenschaftlerInnen und erfolgreiche Professionals über digitale Marketingstrategien, Empfehlungsalgorithmen oder technische Neuerungen in der Musikproduktion. Besonders Rock'n'Roll ist das alles nicht. Ein nüchterner Konferenzraum, gefüllt mit verunsicherten Gesichtern - das sieht nicht gerade nach dem zuweilen beschworenen Bild einer koksgetriebenen Arroganz-Industrie aus. Auch mit Eskapismus-Romantik eines verklärten Festivalwochenendes hat das nichts zu tun. Und genau deshalb sind diese Konferenzen wertvolle Ergänzungen zu den gängigen Showcase- und Clubfestivals.
Der Staat bezahlt das Bier
An dieser Stelle übernimmt das Music Export Denmark, eine staatlich geförderte Institution, Rechnung für Bowling, Beer und Breakfast. Weitere KuratorInnen und OrganisatorInnen sind die KünstlerInnen- und MusikerInnenverbände Dänemarks. Die Acts sind bis auf wenige Ausnahmen dänischer oder skandinavischer Herkunft. Das beweist das strategische Geschick der SPOT-MacherInnen: Statt sich im Dschungel europäischer Konkurrenz durch die Nahrungskette der Booker zu kämpfen, bekommen Dänemarks KünstlerInnen ihre Bühnen quasi vor die Tür gestellt.
Dänemark stärkt sein Image als Musiknation - und Aarhus bekommt durch den Musiktourismus auch ein Stück vom Kuchen ab. Weil das über 100 Jahre alte Open Air-Museum der Stadt die erlebnisgetriebene Lifestyle-Generation nicht mehr interessiert, nutzt Aarhus wie viele andere Städte auch seine hippe Kultur- und Kreativszene zur Vermarktung. Das kann man als Kommerzialisierung pur betrachten. Auf der anderen Seite entspringen solchen Strukturen eben auch Chancen, wie man beim SPOT Festival sehen kann.
40 Prozent Frauenquote: Europa-Vorreiter
Nur dadurch kann das SPOT Festival auf dicke Headliner verzichten, die die Massen anziehen und Booking-Budgets auffressen. Das Line-Up ist nicht das Who Is Who der dänischen Musikszene. The Asteroids Galaxy Tour, vor etwa zehn Jahren Indiepop-Darlings mit iPod-Werbehit und seitdem in der Versenkung verschwunden, zählen zu den größten Acts. Es geht vielmehr um Vielfalt.
Von Black Metal bis aufgekratztem Soulpop ist alles dabei. Man sieht manche KünstlerInnen nervös auf der Bühne herumnesteln, andere - wie etwa die überragende Iris Gold - haben schon Blur und Taylor Swift supportet. Und vor allem sieht man: Künstlerinnen. Die Frauenquote beträgt beim diesjährigen Line-Up rund 40 Prozent. Eine deutliche Ansage.
Wertvolle Promo für Dänemarks Musikszene
Die vielen Unbekannten im Line-Up bleiben natürlich nicht ohne Folgen. Von den 8.000 Gästen sind viele Fans nur bei den großen Konzerten zu sehen. Das SPOT ist bisher eher noch eine Art riesiger Businesstreff. Die finanzielle Hilfe des Staats und der Ruf in Richtung Wissenschaft zeigt aber auch, dass die Branche abseits der Majors zwar höchst lebendig ist, aber auch Hilfe braucht und sucht.
Und genau da macht das SPOT Festival vieles richtig. Aber ein bisschen mehr Stimmung bei den Konzerten wäre den Bands gegenüber trotzdem angemessen gewesen. Business hin oder her. 2019 dann!
1 Kommentar
Frauenquote beim Publikum wäre der Stimmung vlt zuträglich.