laut.de-Kritik
Folk-Rock aus Schweden in nordamerikanischer Tradition.
Review von Giuliano Benassi"Das hört sich ja an wie John Denver," sagte ich spöttisch in der LAUT-Redaktionssitzung, als wir uns den Anfang der CD eines Nicolai Dunger anhörten. Na gut, was solls, dachte ich mir kurz darauf, erbarmte mich und nahm sie mit nach Hause.
Dass Mitleid eine gute Sache ist, wird mir seitdem bei jedem Einlegen von "Soul Rush" bewusst. Woher die Assoziierung mit dem Sänger kam, der mit "Leaving On A Jet Plane" seinen eigenen Tod vorhersang, vermag ich nicht zu sagen, denn weder textlich noch musikalisch gibt es aufdringliche Gemeinsamkeiten. Vielleicht die Akustikgitarre zu Beginn des ersten Liedes; aber es wäre nicht die einzige Platte, die auf diese Art und Weise beginnt.
Nicolai Dunger ist einer jener Singer/Songwriter der klassischen Art, wie sie aus Nordamerika stammen: folkig-bluesig, gitarrenlastig, stellenweise klavierbetont, Verarbeiter allerlei Einflüsse, die hier und da explizit zum Vorschein treten und an das eine oder andere Lied erinnern. Dennoch ist "Soul Rush" reich an Überraschungen. Erstens: trotz seines US-amerikanischen Akzents ist Dunger Schwede. Zweitens: die beim unkonzentrierten Hören scheinbar einfachen Arrangements erweisen sich als Geflecht aus allerlei vorwiegend akustischen Instrumenten. Neben Klavier und Gitarren in verschiedenen Ausführungen gibt es Streicher, Mundharmonikas, Maracas, Bläser, Banjos, und einiges mehr, ab und zu auch Seicht-Elektrisches. Das Ziel ist nicht wahllose Vielfalt, sondern Atmosphäre, die, mal dichter, mal fast nackt, die beeindruckende Stimme Dungers unterstützt.
Eine Stimme, die den Timbre Jeff Buckleys und ein Genuscheltes zwischen Fiona Apple und Tom Waits mit einer Prise Billy Joel besitzt, dabei so anpassungsfähig ist wie das vorgetragene Material. Mal ist es Leonard Cohen, mal Lou Reed, mal sind es sogar die Blues Brothers; die Liste der Schnipsel, die man vermeint heraus zu hören, scheint unendlich und setzt sich dennoch zu etwas Eigenständigem zusammen. So auch die Texte, dessen Titel verraten, dass sie von Liebe und Beziehungen handeln. Selten in fröhlicher und unbeschwerlicher Ausführung, aber allein "Return Of Love," ein metaforischer Umgang mit dem Thema "scheisse, ich bin zu früh gekommen" ("When my love is done, I come on so strong/Will my sweet love return and make you burn?") macht das ausgewählte Genre durchaus erträglich.
"Soul Rush" ist ein Album, an dem man sich nicht satt hören kann. Von wegen John Denver (der, zugegeben, auch seine guten Momente hatte): neben Bonnie Prince Billys "Ease Down The Road" ist sie meine Lieblingsplatte des Jahres.
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