laut.de-Kritik

Haustür-Gespräche mit Zeugen Jehovas sind weniger penetrant.

Review von

Es hört schon mit dem Cover-Artwork auf, lustig zu sein. Nino de Angelo hat vor allem negative Gedanken übrig. "Ich liebe das Leben, das Leben liebt mich nicht / Es tritt mich mit Füßen, und schlägt mir ins Gesicht. / Ich liebe die Sonne, die Sonne liebt mich nicht. / Verbrennt mir die Seele, der Tag ohne Licht (...) will mich befrei'n / doch das Unheil, das holt mich immer wieder ein (...) frisst meine Träume und füttert sich gut." - So heißt es brachial in "Wer Weiss Das Schon". So endet die neue CD.

Zieht reichlich herunter. Die einzige Ausflucht aus deprimierendem Wehklagen ist der größenwahnsinnige Traum vom ewigen Übermenschen, "Von Ewigkeit Zu Ewigkeit". Wenn man wie Phönix aus der Asche barfuß durch die Hölle stapft, um ein paar Songtexte in einem Satz zusammenzufassen.

Fürs Schlager-Milieu scheint es nachgerade eine Revolution, dass eine Platte absolut düster ist und nur Angst verbreitet. Von Schuld, Sünde, innerer Leere befreie "einfach nur wein' und lachen (...) einfach nur le'n und schrei'n", und aus entsprechendem Anlass schreit der Nino, als verfolge ihn ein Schwarm Hornissen, "Unter Gottes Sonne". Die biblisch gestützte Apokalypse durchwandert aufdringlich das Album. Haustür-Verkaufsgespräche mit Zeugen Jehovas fände ich persönlich weniger penetrant als diese Platte.

Die Lyrik wirkt wie eine beliebige Aneinanderreihung von Phrasen. Die musikalische Gestaltung setzt auf scheinbar intime Geständnisse in stillen, geradezu geheimniskrämerischen Passagen und explosiven Ausbrüchen mit Pomp und Dezibel-Anstieg in etlichen Refrains - nach dem Motto: 'Achtung, jetzt kommen die Parts zum Mitgrölen'. Außer vielen Dezibel macht Ninos Gesangstechnik einen grenzdebilen Eindruck. Seine Intonation gleicht einem verwirrten Suchen nach Tönen, wirkt schütter und unmusikalisch. Wenn sich sehr jemand sehr heiser anhört und andauernd aus voller Kehle schreit, kann Salbeitee womöglich helfen, aber den hatten sie im Studio anscheinend nicht greifbar. Zu diesem Defizit fügen sich die eher dissonanten, kaum ansprechenden Melodien dann wiederum sehr passend.

In den '90ern gab's ein lustiges Eurodance-Projekt namens Music Instructor. Eine Computerstimme kommentierte das Lego-Spiel hinter vielen schematischen Charts-Liedern. De Angelos Team hält sich sklavisch an dieses alte Spiel: Immer pi mal Daumen alle vier Takte eine neue Zutat einführen. Dann einen beliebigen Text möglichst laut unterlegen. Die Lautstärke alle paar Takte anheben. Die Einzelteile müssen sich nicht aufeinander beziehen. Es reicht, wenn sie laut sind. Das Schlagzeug passt dann so rhythmusorganisch zum Gesang wie Blubber-Musik unter verlesene Verkehrsmeldungen im Radio. "Halt durch, du hast es bald geschafft", röchelt Nino in "Land In Sicht". Da stehen dem Hörer aber noch sechs Tracks bevor.

Die ziehen sich unter dem Eindruck von Pathos ewig hin, also "Von Ewigkeit Zu Ewigkeit", der 59-Jährige inszeniert sich als Roger Waters des deutschen Schlager. Die Songs wirken kolossal, übermächtig, nicht wie Unterhaltung, sondern wie populistische Manifeste. "Die Last des Lebens, viel zu schwer, sie begräbt dich unter ihr", meint unser vermeintlicher Retter; dabei ist er's selbst, dessen Last gewaltig übertreibt. "Doch glaub mir, da ist Land in Sicht / wo du endlich wieder glücklich bist", krakeelt Nino, und hat den fragwürdigen Charme eines Boris Johnson, der sein Volk in den Brexit führt, verklärend und simpel das Blaue vom Himmel verspricht. Populismus funktioniert komischer Weise besonders effektiv mit einem unsympathischen "jetzt-glaubt-mir-doch-endlich" eines vierjährigen Trotzphasen-Kindes in der Stimme - Ninos Dauer-Trick 17 in jedem Refrain.

Die meisten Stücke hier bauen sich nach einem simplen Strickmuster auf. Erst mal fangen sie unsauber mit einem konturlosen E-Piano an. Das übernimmt die Fistelstimme im Klangkanon und klimpert hoch, lieblich und unschuldig. Eine Klangschicht mit Goth-Metal-Schlagzeug gießt sich über das Geklimper. Synth-Geigen treten für mehr übertriebene Dramatik ins Spiel ein. "Dunkle Akkorde fliegen durch den Raum", kommentiert der Sänger im Liedtext gleich selber. "Halt durch, da ist bald Land in Sicht, wo du endlich wieder Freunde triffst", da wird aus der Metapher 'Land in Sicht' gleich das konkrete Terrain, auf dem die Freunde aufkreuzen. Das ist ja echt kryptisch.

Wahrscheinlich meint er Mallorca, und dass man nach dem Durchhalten aller Corona-Maßnahmen wieder dort hin durfte, um sich nach überstandener Isolation zum Beispiel bei seinem Auftritt zu besaufen. Je mehr man hört, scheint es ganz egal zu sein, was er singt. Das Thema der Platte ist, dass alles Dreck ist, überall Depression, Mühsal und Abgrund lauern, aber De Angelo den Ausweg kennt. Damit es uns besser geht, sollen wir uns sein Geschrei anhören. Denn nur er kennt das Leben und antwortet auf unsere innersten Sorgen und Zweifel. Yeah.

Und wenn er in "Ich Brenne Fürs Leben" plötzlich "weiß, was ich liiiiiiebää und was niiiiicht" brüllt, dann macht die musikalische Unruhe schon mal kurz Pause, und er sinniert auf einer ruhigen Synth-Fläche, schreit aber immer noch wie ein Berserker. Als müsse er irgendwas übertönen. Er brennt fürs Leben, dann brennt sein Herz ("Da Wo Mein Herz Brennt"), dann verbrennt sein Stern in "Memento Mori + Sotiri", obwohl er durch Fluten zieht. Müssten die nicht den Brand löschen? Egal, das Lied ist das bisher unmusikalischste Geschepper des Jahres, ein holpriger Versuch Gothic-Pop. "Ich geh allein, von Ewigkaaaaait zu Ewigkaaaaait, weil keine Zeit mich hält", kräht Nino kämpferisch, obschon er die Töne mit Mühe raus quetscht und seine Stimme mehr nach heiserem Raspeln als nach Gesang klingt. Auf diesen Depri-Sekten-Schrott haben wahrscheinlich nicht mal seine Fans gewartet.

Trackliste

  1. 1. Da Wo Mein Herz Brennt
  2. 2. Mein Kryptonit
  3. 3. Unter Gottes Sonne
  4. 4. Memento Mori + Sotiri
  5. 5. Von Ewigkeit Zu Ewigkeit
  6. 6. Ich Brenne Fürs Leben
  7. 7. Nicht Eine Träne
  8. 8. Land In Sicht
  9. 9. Io Respiro
  10. 10. Mein Herz Hört Nie Auf
  11. 11. Bella Ciao
  12. 12. Der Verlorene Sohn
  13. 13. Barfuß Durch Die Hölle
  14. 14. Wer Weiß Das Schon

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Nino de Angelo

Im Gespräch zu bleiben ist mindestens so wichtig wie der musikalische Erfolg. Das haben die Hauptakteure der deutschen Schlagerlandschaft weit länger …

4 Kommentare mit 5 Antworten