laut.de-Kritik

Das Ding aus dem Sumpf.

Review von

"Du kennst Bands, die Aaaaaah machen oder? Diese Jungs machen Urghhh. Ist echt intensiv." So beschrieb Scott Burns, Produzent in den legendären Morrisound Studios in Temple Terrace, Florida einst den Sound einer Newcomer-Band namens Obituary.

Death Metal war Mitte/Ende der 1980er-Jahre eine noch junge Szene. Da brauchte es schon ein neues Vokabular, um den höllischen Krach von Bands wie Obituary, Death, Morbid Angel oder Possessed zu beschreiben. Und seien wir ehrlich: Kaum jemand klang so URGHHH wie Obituary, dem mächtigen Todesgurgeln von John Tardy sei Dank.

"Cause Of Death" ist das zweite Album der Truppe um die Tardy-Brüder John (Vocals) und Donald (Drums) und zeigt eine Band, die ihren Stil gefunden hat. Die 1990 erschienene Scheibe gilt als prägend für den Death Metal – die Höhlenmensch-Variante, wohlgemerkt. Sollen andere Gruppen den Todesmetall technisch immer weiter ausfeilen oder Lichtgeschwindigkeit erreichen, Obituarys Sache war das nie: Ihnen geht es primär darum, eine Stimmung zu kreieren – düster, kaputt und so heavy wie nur möglich.

Mission erfüllt: "Cause Of Death" ist eine Urgewalt. In der Nase kitzelt geradezu der faulige Moder tausender Leichen, die dieser zähen Flutwelle aus dem Südstaaten-Sumpf zum Opfer gefallen sind. Die Band suchte sich die Elemente ihres Sounds bei Vorreitern wie Venom oder Possessed zusammen, besonders aber bei Celtic Frost (respektive deren Vorgängercombo Hellhammer). Als er deren Debütalbum "Morbid Tales" entdeckte, kam das für Gitarrist Trevor Peres einer Erweckung gleich: Statt thrashig-rasanter Riffs wollte er fortan träges, schweres Zeug schreiben. Auch passte er seinen Gitarrenton jenem der Eidgenossen an: "Der Ton war dumpf, es klang nach Matsch. Es handelte sich quasi um einen 'Anti-Gitarrensound'. Ich liebte ihn", sagt er in der offiziellen Bandbiografie "Turned Inside Out" von 2021. Einmal gefunden, hat er seinen Klang nie mehr groß verändert.

Ihre stilistische Evolution leiteten Obituary bereits vor "Cause Of Death" ein, sie festigen sie auf ihrem Zweitwerk aber weiter. Gegenüber dem ebenfalls starken Debütalbum "Slowly We Rot" gelingt ihnen eine kompositorische Steigerung – was beeindruckend ist, da die noch junge Band während des Entstehungsprozesses erstmals durchgerüttelt wurde.

Der Kern blieb immerhin konstant: Donald Tardy legt mit seinem wuchtigen Schlagzeugspiel das Fundament, Rhythmusgitarrist Trevor Peres hat den Knochensägenmodus eingestellt, und John Tardy entlockt seiner Kehle Geräusche, die eher an ein krepierendes Elchrudel erinnern als an ein menschliches Wesen.

Neu im Bunde sind Bassist Frank Watkins, der im Wesentlichen Peres' Riffs doppelt und der Band für viele Jahre erhalten bleibt, sowie James Murphy. Der Leadgitarrist springt erst spät im Aufnahmeprozess für den pausierenden Allen West ein und bringt gleich ein paar der besten Soli des Obituary-Katalogs mit. Man hört, dass der Mann zuvor bei Death engagiert war. Oder wie Produzent Scott Burns es formuliert: "Auf 'Cause Of Death' verlieh er Obituary im Vergleich zu 'Slowly We Rot' definitiv eine neue Dimension."

"Infected" löst schon eine Naturgefahrenwarnung aus: Nach einem schaurig-stimmungsvollen Intro klopft Donald Tardy einen heavy Beat zurecht, dazu dröhnt ein Riff, und Murphy löst ein erstes Solo aus dem Morast, das den Caveman-Sound um die richtige Dosis Finesse ergänzt. Dann RUUMMS, Tempowechsel, alles auf Gebolze. Erstmals erheben sich die mächtigen Growls John Tardys: kaum zu verstehen, aber durchdringend und ungezähmt.

Ab da ist die Band nicht mehr zu bremsen, presst einen direkt in den "Body Bag". Gegenwehr führt zu nichts. Peres startet mit einem legendären Riff, ehe die Todesröhre wieder dazustößt, während Donald Tardy die Doublebass durchtritt. Einen Herzschlag-Aussetzer und viele Dynamikwechsel später kehrt das Anfangsriff zurück, um einem endgültig den Rest zu geben. "Chopped In Half" – oder wie es diese donnernde Bestie intoniert: CHAPPPN HAAAAWWW! – führt die Tortur nahtlos weiter, zerrt an den Gedärmen, wobei das Schlagzeug einem fiese Fleischerhaken reinhaut und sich die Gitarrensoli wie eine Schnur um die Kehle zusammenziehen. Im Todeskampf kann man sich noch kurz daran erfreuen, dass der wummernde Bass hier so richtig zur Geltung kommt.

Erst drei Songs gehört, aber was für ein Einstieg! Death Metal ist heutzutage keineswegs mehr schockierend, doch zur Veröffentlichung von "Cause Of Death" war dieser vertonte Horrorfilm unerhört und drehte so manch eine Rübe um. Mit ihrem grundsoliden Celtic-Frost-Cover "Circle Of The Tyrants" – das es eher ungeplant aufs Album schaffte – stellen die jungen Floridianer klar, wessen Vision sie hier weiterführten.

Dass Obituary auch durchaus eigene Vorstellungen haben, unterstreicht das folgende "Dying": Der zackige Hassbatzen kommt weitgehend ohne Vocals aus. Erst in der letzten Minute stößt John Tardy hinzu – zunächst schwer schnaufend, dann aus tiefster Kehle röhrend. Sein Beitrag veredelt die ohnehin geile Nummer erst richtig.

Dass der Vocalist sich teilweise so sehr zurücknimmt, um der Musik mehr Raum zu lassen, hat die Labelmenschen einst ziemlich irritiert. Doch genau darin liegt eine Stärke Obituarys: John Tardy mag über ein unverkennbares Organ verfügen, das vor allem zu Karrierebeginn als Alleinstellungsmerkmal herausgestrichen wurde. Dennoch deckt der blonde Frontmann bewusst nicht jede Passage mit seinem Gebrüll zu. Das sollen andere Growler machen.

Die Frage, wie er zu einem der Mitbegründer dieses neuen Gesangsstils wurde, beantwortet er in der erwähnten Bandbiografie übrigens wie folgt: "Meine Vorgehensweise war damals total Caveman. Wir wussten überhaupt nicht, was wir taten. Ich legte schlicht los und gab aus dem Stegreif Laute von mir." Texte schrieb er gar nicht erst, wozu auch? Mit primitiven Schreien lässt sich die gewünschte Heavyness genauso gut erzielen.

Nach und nach wird aus dem Wahnsinn Methode, sogar mit Texten – aus richtigen Wörtern! In "Find The Arise" versteht man die Lyrics für einmal besser, außerdem klingt der Vocalist hier fast schon konventionell. Die Band wetzt in irrsinnigem Tempo los und zieht dieses bis auf wenige Breaks auch durch. Der Song erfasst dich wie eine überraschende Springflut und schüttelt dich für die zweite Albumhälfte nochmals richtig durch.

Lebensverlängerung nur der Tortur zuliebe: Der Titelsong würgt den flotten Elan gleich wieder ab. Dröhnend, schleppend, weitgehend instrumental – hier befeuert der Leadgitarrist einmal mehr das Kopfkino. Später steigt die Schlagzahl, und John Tardy agiert punktgenau zu den Riffs. Was ist nur aus dem unkontrolliert röhrenden Biest geworden?!

Ah, das ist es ja wieder: Danke dafür, "Memories Remain". Noch so eine bleischwere Nummer, die mit düsteren Soundeffekten das Händchen fürs Atmosphärische betont, das die Band trotz aller Rohheit auszeichnet. Die Leads von James Murphy? Zum Mit-der-Zunge-schnalzen! Acht Songs sind schon durch, und "Cause Of Death" lässt immer noch kein bisschen nach. Kann das sein? Ja, das kann. Dass mit "Turned Inside Out" ein weiterer Nackenbrecher erster Güteklasse folgt, gibt einem endgültig den Rest: tonnenschwer, heftig, tödlich.

"Cause Of Death" ist ein Kulturgut, vom ikonischen Cover des Künstlers Michael Whelan (das ursprünglich für Sepulturas "Beneath The Remains" vorgesehen war) über die tadellose Produktion von Scott Burns, der spätestens mit dieser Arbeit zum Paten des Todesmetalls wurde, zu den Kompositionen und der Leistung jedes einzelnen Bandmitglieds. Nicht ein schlapper Moment! Das gelingt nur im jugendlichen Elan. Trevor Peres greift in der Bandbiografie eine Analogie aus dem Baseball auf: "Anscheinend ist es das eine Album von uns, mit dem wir einen Volltreffer gelandet haben. (...) Wir haben den Ball mit dieser Scheibe rausgehauen."

Die 1990er-Meisterschaft im Florida Death Metal haben Obituary diskussionslos gewonnen – und Generationen von nachfolgenden Bands geprägt. Stellvertretend sei an dieser Stelle Gatecreeper-Sänger Chase Mason zitiert, demzufolge seine Band heftig groovende Passagen in ihren Songs als 'Obituary-Parts' bezeichnet. Und sofort weiß man, was damit gemeint ist. Das muss eine Band erst mal schaffen.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Infected
  2. 2. Body Bag
  3. 3. Chopped In Half
  4. 4. Circle Of The Tyrants
  5. 5. Dying
  6. 6. Find The Arise
  7. 7. Cause Of Death
  8. 8. Memories Remain
  9. 9. Turned Inside Out

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