laut.de-Kritik
Plötzlich grinst ein verloren geglaubter Schelm.
Review von Oliver Lambrecht"Wo sie herkommen, wächst kein Gras mehr, und ihre Zeit ist komisch knapp.
All die Menschen haben Geschichten, aber keiner holt sie ab ... Doch! Einer holt sie ab."
("In Jede Richtung")
Bitte die Ohren spitzen für "Warten Auf Den Bumerang". Olli Schulz meint es ernst. Er checkt aus im Grand Hotel und schlägt die Zelte beim Major Labels auf. Seine Band ergänzt er, neben dem bewährten Partner Max Schröder, durch Tomtes Dennis Becker und Schlagzeuger André Frahm (The Dance Inc.). Mit gesicherten Bandstrukturen in der Hinterhand macht sich der passionierte Hasenkostüm-Träger mit seinem dritten Album auf, den Traurigen die Welt zu erklären.
Dabei verzichtet er dieses Mal komplett auf seine bewährten Comedy-Einspieler. Zurück bleibt ein reines Musik-Destillat von beinahe 37 Minuten Länge. Der viel zitierte Ernst, als Methode angewandt, lässt sich mit jedem einzelnen Lied greifen. Olli Schulz machte nach "Das Beige Album" gleich mehrere Schritte nach vorne.
Die Singer/Songwriter-Raupe verwandelte sich auf einmal in einen Band-Schmetterling, ganz ohne sich in einen Kokon zurückgezogen zu haben. Auf Grund zweier weiterer Bandmitglieder wird der Sound zwangsläufig dichter. Wohin der Weg führt? "In Jede Richtung"! Der Sänger holt gleich zu Beginn die Menschen mit und ohne Geschichten ab, stampft mit den Füßen auf den Boden und prangert an.
Er singt "Wenn Die Music Nicht So Laut Wär'" und ergänzt "dann wär sie auch nur halb so schön". Wer nicht gerade vom Rhythmus angesteckt freudig über die Tanzfläche hüpft, würde Olli Schulz am liebsten umarmen, weil es so verdammt wahr ist. Jedenfalls so lange, bis der Neu-Berliner sich in "Armer Vater" selbst widerlegt. Selten schlug der Bekannte Bibi McBensons leisere Töne an. Erstmals thematisiert der Musiker das Scheitern ohne schützende Ironie oder beißenden Spott. "Armer Vater" ist ein entwaffnend ehrliches Vergeben gegenüber demjenigen, der nicht fähig war, seinen Sohn zu verstehen. Ein Lied für Streicher und Gitarre, in dem auch eine Frauenstimme im Refrain die Gänsehaut ein wenig weiter kitzelt mit kleiner Brücke und einer herzzerreißenden Idee. Musik muss also doch nicht immer laut sein.
Emanzipiert vom ursprünglich minimalen Sound der Vergangenheit probiert er sich an Loops und Elektronik ("Keiner Hier Bewegt Sich (Wir Fallen)") oder verbeugt sich vor den Katzenfreunden The Cure ("Was Macht Man Bloß Mit Diesem Jungen?"). Nur das mit vielschichtigen Streicher-Arrangements verzierte "Wenn Das Leben Dich Beisst" klingt ein wenig überambitioniert und deplatziert. Als B-Seite der Non-Album-Single "Du Hast Da Was" - das letzte Release beim Grand Hotel - klang der Weckruf im Rockgewand dringlicher. Mit einer Dauer von 5:40 Minuten übertrifft die Album-Version seinen Vorgänger um mehr als das Doppelte. Der Versuch, ins Epische abzudriften, sofern überhaupt angestrebt, scheitert leider ein wenig.
Den Schlusspunkt setzt "Kleine Meise, Grosses Herz", und plötzlich grinst ein verloren geglaubter Schelm hervor und intoniert Tiergeräusche. Bis hierhin ging es schon ernst genug zu, da darf auch gerne die neue Düsternis konterkariert werden. Anders als der Flug eines Bumerangs nimmt das Werk ein eher unerwartetes Ende, das auch einem ernsteren Schulz nach wie vor gut zu Gesicht steht.
Das dritte Album stellt gleichzeitig auch die dritte Steigerung von Olli Schulz dar. Mag sein, dass manche sich einen unbeschwerteren Indie-Popper zurück wünschen, doch mit "Warten auf Den Bumerang" sollte sich die Hörerzahl ohne weiteres erhöhen.
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